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Welt in Flammen

Roman

©2025 957 Seiten

Zusammenfassung

Alle Mann an Bord …

25. Mai 1940: Während die deutschen Panzer unaufhaltsam westwärts rollen, bricht in Paris der Orient-Express zu seiner letzten Fahrt nach Istanbul auf. An Bord ist eine illustre Gesellschaft: der verbannte Balkankönig Carol von Carpathien, auf dem Weg, seine Krone wiederzuerlangen, Alexandrowitsch Romanow mit seiner Tochter Xenia, die einen Fremden heiraten soll, obwohl sie einen anderen liebt. Die junge Jüdin Eva, die ihr Leben riskiert, um ihren Geliebten zurückzuerobern … sowie mehrere Geheimagenten der Kriegsmächte: Denn im Zug befindet sich etwas, das der Führer unter allen Umständen in die Hände bekommen will. Und während der Himmel über Europa in Flammen aufgeht, rast der Orient-Express mit seinen Passagieren einem Schicksal entgegen, dessen Ausgang alles verändern könnte …

»Eine Mischung aus Follett, Le Carré und Downton Abbey. Ein Schmöker für fast jedes Familienmitglied!« Karla Paul, ARD

Ein fulminantes Historienepos für alle Fans von Jeffrey Archer und Ken Follett.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

25. Mai 1940: Während die deutschen Panzer unaufhaltsam westwärts rollen, bricht in Paris der Orient-Express zu seiner letzten Fahrt nach Istanbul auf. An Bord ist eine illustre Gesellschaft: der verbannte Balkankönig Carol von Carpathien, auf dem Weg, seine Krone wiederzuerlangen, Alexandrowitsch Romanow mit seiner Tochter Xenia, die einen Fremden heiraten soll, obwohl sie einen anderen liebt. Die junge Jüdin Eva, die ihr Leben riskiert, um ihren Geliebten zurückzuerobern … sowie mehrere Geheimagenten der Kriegsmächte: Denn im Zug befindet sich etwas, das der Führer unter allen Umständen in die Hände bekommen will. Und während der Himmel über Europa in Flammen aufgeht, rast der Orient-Express mit seinen Passagieren einem Schicksal entgegen, dessen Ausgang alles verändern könnte …

Über den Autor:

Benjamin Monferat ist das Pseudonym des deutschen Bestsellerautors Stephan M. Rother. Der studierte Historiker war 15 Jahre lang als Kabarettist auf der Bühne unterwegs, bevor er sich im Jahr 2000 dem Schreiben widmete. Seitdem veröffentlichte er zahlreiche erfolgreiche Romane für Erwachsene und Jugendliche. Die Lebensgeschichte seines Großvaters, der im Dritten Reich am Bau luxuriöser Eisenbahn-Waggons beteiligt war und gleichzeitig im Widerstand gegen das Regime einsetzte, inspirierte ihn zu seinem Historien-Epos »Welt in Flammen«.

Die Website des Autors: magister-rother.de/

Bei dotbooks veröffentlichte Benjamin Monferat seine historischen Romane »Der Turm der Welt« und »Welt in Flammen«.

Unter seinem Klarnamen erscheinen die Thriller »Das Babylon-Virus«, »Die letzte Offenbarung«, »Sturmwelle« und »Im dunklen Holz«, sowie seine Fantasy-Trilogie DIE KÖNIGSCHRONIKEN mit den Einzeltiteln »Ein Reif von Eisen«, »Ein Reif von Bronze« und »Ein Reif von Silber und Gold«.

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eBook-Neuausgabe Januar 2025

Copyright © 2014 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrere Motive von ana / Sebastián Hernández / JERRY / Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98952-600-6

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Benjamin Monferat

Welt in Flammen

Roman

dotbooks.

Compiègne, Clairière de l’Armistice
23. Mai 1940, 02:17 Uhr

Der Himmel im Osten war flüssiges Feuer.

Rötlich flackerte die gesamte Linie des Horizonts, greller getönt noch einmal über den Städten, in denen auch zu dieser Stunde Gefechte tobten.

François hielt sich zwischen den vordersten Reihen der Bäume und betrachtete das unheimliche Schauspiel über der nächtlichen Picardie.

Die Zerstörung. Den Zusammenbruch. Den Tod.

Das Geschützfeuer der Deutschen brach sich im flachen Tal der Aisne, doch noch waren sie nicht heran. Ein heftiger Einschlag ließ den Boden unter seinen Füßen erbeben. Der Donner folgte Sekunden später. Wie weit waren sie entfernt? Dreißig Kilometer? Vierzig? Würden sie in wenigen Tagen hier sein – oder waren es nur noch Stunden?

Das machte keinen Unterschied. Heute Nacht. Heute Nacht – oder niemals.

Er warf einen letzten Blick auf die apokalyptische Szenerie, dann drückte er die dunkle Ledertasche fester an seine Brust und suchte sich einen Weg durch das Dickicht der Bäume. Natürlich gab es einen Pfad, und aus Furcht vor feindlichen Fliegern war er in diesen Tagen gänzlich unbeleuchtet, doch selbst unter diesen Bedingungen erschien ihm das Risiko zu groß. Zwei Posten bewachten die Anlage. Nun, da die Front mit jedem Tag näher rückte, würden sie die Augen offenhalten.

Der Forêt de Compiègne mit seinen Eichen, Buchen und vereinzelten Zedern hatte einen einzigartigen, schweren Duft, und die warme Mainacht verstärkte ihn noch. François’ Finger strichen über die Rinde der Bäume, während er sich Schritt um Schritt vorantastete, bis sich die Dunkelheit vor ihm veränderte, die Umrisse der letzten Baumreihen sich von einer anderen Art Schwärze abhoben, und dann, von einem Schritt auf den anderen ...

Die Halle war ein klobiger Klotz, das dreifache Portal ein etwas höherer, kastenförmiger Umriss in den strengen Formen, die die Architektur seit dem Ende des Großen Krieges beherrschten.

François verharrte in der Deckung. Auch hier waren die elektrischen Lichter verloschen. Er wartete, während seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Ein Wachmann kam rechts hinter der Halle in Sicht, François erahnte ihn nur, lediglich der matte Schimmer einer Taschenlampe war zu erkennen. Ohne seine Geschwindigkeit zu verändern, passierte der Mann die Ecke des Gebäudes, schritt vor den Stufen des Portals entlang, bog dann nach rechts und bewegte sich langsam aus dem Blickfeld. François holte Luft.

Er hatte es geahnt, seit Tagen schon, dass diese Aufgabe ihm zukommen würde. Er war nicht der Jüngste in der Gruppe um den alten Victor, aber der Einzige, der keine Kinder hatte. Er liebte Claudine, doch wie sie alle liebte er auch sein Land. Wenn es getan werden musste, musste er es tun. Jetzt.

Der Posten war wieder mit der Dunkelheit verschmolzen. In den nächsten Sekunden würde sich der gewaltige Betonklotz zwischen ihm und dem Beobachter befinden.

François löste sich aus der Deckung, die Tasche an die Rippen gepresst. Seine eiligen Schritte waren auf dem Kies deutlich zu hören, erschreckend laut, doch er wagte es nicht, langsamer zu werden.

Achtzig Meter, fünfzig. Die Nacht war lau; die Atemzüge stachen in seinen Lungen, sein Puls war ein Brausen in den Schläfen. Dreißig Meter. Wo war der zweite Wächter? Wenn er in genau diesem Moment in seine Richtung schaute, war alles verloren.

Stolpernd erreichte François die breiten Stufen. Mit zwei Schritten war er oben, in der Hand den metallenen Nachschlüssel, den Victor beschafft hatte. Seine Finger waren eiskalt, zitterten. Das Schlüsselloch ... Er glitt ab, noch einmal. Der Posten, er musste jeden Augenblick ...

Mit einem Mal verschwand der Schlüssel in der Öffnung. Hektisch versuchte François ihn zu drehen. Er verkantete.

»Merde!« Er musste es schaffen! Wenn er jetzt die Flucht ergriff, würde er es niemals ungesehen zurück in die Deckung schaffen. Jetzt oder ... Der Schlüssel drehte sich, François presste sich gegen die Tür.

In diesem Moment hörte er die Schritte.

Schnell schob er sich ins Innere, drückte die Tür hinter sich ins Schloss, hielt keuchend inne.

Die Schritte! Waren die Schritte noch zu hören? Sein Schädel pochte, das Blut rauschte in seinen Ohren. Hatte der Mann ihn bemerkt? Ihn gehört? Er konnte ihn nicht gesehen haben, aber ... Der Schlüssel! Er hatte den Schlüssel nicht abgezogen. Wenn der Mann seine Taschenlampe auch nur beiläufig über die Tür gleiten ließ, musste er ihn entdecken!

François stand wie gelähmt. Aber nichts geschah.

Den Schlüssel doch noch an sich bringen? Zu gefährlich. Es kostete ihn alle Kraft, sich von der Tür zu lösen, sich langsam umzudrehen.

Dunkelheit. Im Innern der Halle war sie noch vollkommener als draußen, wo der Vollmond und der Widerschein der Gefechte eine Ahnung von Helligkeit gaben. Das Mauerwerk wurde nur von deckenhohen Fenstern durchbrochen, durch die etwas von dem Lichtschimmer den Weg ins Innere fand, sodass sich etwas Längliches, halb Erahntes aus der Finsternis schälte.

Auch das Innere war François vertraut. Er wusste, welchen Weg er nehmen konnte, ohne anzustoßen, hätte sich in vollständiger Dunkelheit bewegen können. Doch jetzt, im entscheidenden Moment, zögerte er.

Ich kann es nicht tun.

Mit einem Mal fielen ihm tausend Gründe ein, Argumente, die in der Gruppe wieder und wieder diskutiert worden waren. Die Nachricht aus dem deutschen Hauptquartier konnte falsch sein. Die Deutschen konnten ihre Pläne ändern – schließlich taten sie das andauernd. Wie sicher war es, dass die neuesten Informationen zutrafen?

Mit angehaltenem Atem trat er näher. Unter diesen Lichtverhältnissen war der Umriss nicht einmal als Eisenbahnwaggon zu erkennen, und doch kannte François jedes Detail. Seine Finger legten sich um das grobe Seil, das als Handlauf und Brüstung diente, fuhren leicht über die erhabenen goldenen Lettern: No 2419 D. Der Wagen wäre selbst dann eine Kostbarkeit gewesen, wenn er darüber hinaus keine besondere Bedeutung gehabt hätte.

Doch er hatte eine Bedeutung. Er war ein nationales Monument. Und er durfte den Deutschen nicht in die Hände fallen. Nicht, wenn Victors Informationen der Wahrheit entsprachen.

François würde ihre Pläne vereiteln. Sobald sie versuchten, den Wagen von der Stelle zu bewegen, würde der Sprengsatz zünden und Hitlers Schergen unter den Trümmern der Halle begraben. Eine solche Erschütterung musste einfach ausreichen.

Er holte Luft. Es gab keinen Grund mehr, noch länger zu zögern. Vorsichtig tastete er sich weiter vor, am Seil entlang. Zwölf, dreizehn, vierzehn Schritte. Dann der Einstieg.

Es war, wie Victor gesagt hatte: Der Zugang war nicht verschlossen. François schob sich in das schmale Entree des Wagens. Seine Finger glitten über die Innenwand, über das Glas des Durchlasses, hinter dem sich der einstige Salon befand.

Die Paneele unterhalb der Glasscheibe. François ging in die Hocke, zog einen Schraubenzieher aus der Tasche. Er konnte kaum glauben, dass es so einfach sein sollte, doch er brauchte nur Sekunden, bis er die kaum wahrnehmbare Vertiefung gefunden hatte, an der er ansetzen musste.

Ein letzter Atemzug, dann stemmte er sich mit aller Kraft gegen den Griff des Schraubenziehers.

Das Holz der Verkleidung löste sich – und polterte zu Boden.

Das Herz des jungen Mannes überschlug sich. Das mussten sie gehört haben.

Mit fliegenden Fingern stopfte er die Tasche in den Hohlraum. Sie passte, wie Victor es versprochen hatte. Die Holzplatte selbst, die die Öffnung wieder verschließen sollte ...

»Allô?« Laute Schritte.

»Merde! Un clef

Sie hatten den Schlüssel entdeckt! Hektisch unternahm er einen neuen Versuch, die Verkleidung wieder einzusetzen. Sie passte nicht, fiel ihm ein zweites Mal entgegen.

Als er für einen halben Atemzug innehielt, hörte er, wie eine Waffe gezogen wurde. Sie waren nah, ganz nah, schon in der Halle, aber noch draußen am Handlauf.

»Allô

François sog die Luft ein, als seine Finger zwischen Nut und Paneele gerieten, doch gleichzeitig schien der Mechanismus einzurasten.

»Allô ...«

Er federte hoch. Im selben Moment wurde im Einstieg ein Umriss sichtbar.

»Pas un geste!« Der Mann sah ihn sofort, wechselte im nächsten Moment ins Deutsche. Natürlich: Er musste François für einen Deutschen halten. »Keine Bewegung! Was tun Sie hier?«

François wusste nicht, was er tun, was er sagen sollte. Unter keinen Umständen durften die Posten das Versteck entdecken. Seine Hände fuhren über seine Jacke.

»Halt, sage ich!«

Es war eine bewusste Entscheidung. Wenn die Männer erkannten, dass er Franzose war, würden sie Schlüsse ziehen, etwas ahnen, ihn irgendwie zum Sprechen bringen. Das durfte nicht geschehen.

Ganz langsam, für den Mann deutlich sichtbar, glitt seine Hand ins Innere seiner Jacke.

Es gab keine letzte Warnung. François hörte den Schuss. Ein Gefühl, als hätte ihn jemand mit der flachen Hand fest vor die Brust gestoßen. Schmerz? Er war da, doch er war so kurz ...

»Claudine«, flüsterte er. Dann war da etwas Warmes, Zähflüssiges, das nach Eisen schmeckte und erbarmungslos seinen Mund füllte. »Claudine ...«

Dann nichts mehr.

Paris, 8e Arrondissement
25. Mai 1940, 20:31 Uhr

Das bin nicht ich.

Eva Heilmann war eben im Begriff gewesen, einen Hauch Rouge aufzutragen. Jetzt ließ sie den Lippenstift sinken, betrachtete das Bild, das ihr aus dem Spiegel entgegenstarrte.

Das bin nicht ich.

Das schmale Gesicht einer jungen Frau, vielleicht noch jünger als die zwanzig Jahre, die Eva zählte. Die hohen Wangenknochen, die nach ihrem Gefühl ein wenig zu vollen Lippen, die Blässe der Haut, die durch den Tagespuder noch betont wurde. Alles war wie immer. Und doch gehörte das Gesicht einer Fremden.

Eva kannte diese Augenblicke. Momente der Unsicherheit, des Zweifels. Der Verwirrung. Am Anfang, während der ersten Monate in Paris, waren sie tatsächlich nur das gewesen: Momente. Wie konnte sie in Frage stellen, was sie war? Sie war eine nahezu klassische Schönheit mit dunklem Haar und mandelförmigen Augen. Um ihre Garderobe hätte sie manche Fürstin beneidet. Und sie war frei, frei, lebte in der aufregendsten Stadt Europas, traf die aufregendsten Menschen an den aufregendsten Orten. Carol las ihr jeden Wunsch von den Augen ab – schließlich war er ein König, wie er immer wieder betonte. Im Exil zwar, was er meistens vergaß zu erwähnen. Sie aber war seine Prinzessin.

So war es gewesen. In den ersten Monaten.

Das fremde Gesicht sah ihr aus dem Spiegel entgegen, und mit einem Mal war es vertraut, allerdings ohne dass es sich in ihr eigenes Gesicht verwandelt hätte. Es war das Gesicht ihrer Mutter.

Sie erinnerte sich an den Abend in der Villa in Dahlem, verborgen mittlerweile hinter hohen, halb verwilderten Hecken, denn arische Gärtner durften die Heilmanns schon seit Jahren nicht mehr beschäftigen. Sie erinnerte sich an die gespenstische Stimmung im Speisesaal, der so schrecklich leer wirkte, seitdem ihr Vater die Gemälde und den größten Teil des wertvollen Mobiliars hatte verkaufen müssen, um die Familie irgendwie über die Runden zu bringen.

Carols Angebot, dass Eva ihn begleiten könne, war aus heiterem Himmel gekommen. Schon sein bloßer Besuch war eine Überraschung gewesen: In dieser Zeit achteten die meisten Gäste aus dem Ausland, die etwas auf ihren Ruf bei den deutschen Machthabern hielten, sorgfältig darauf, unter keinen Umständen mit einer jüdischen Familie in Verbindung gebracht zu werden.

Doch Carol von Carpathien war davon überzeugt, dass für ihn andere Gesetze galten als für den Rest der Menschheit. Und irgendwie hatte er ja auch recht damit. Er war ein König. Nun, ein ehemaliger König zumindest.

Du musst gehen. Beschwörend hatten die Augen ihrer Mutter auf Eva gelegen, nachdem sich Carol für die Nacht in seine Suite im Adlon verabschiedet hatte. Dein Vater und ich kennen diesen Mann ein halbes Leben lang, und er hat immer seinen eigenen Kopf gehabt. Keiner von uns beiden hätte sich gewundert, wenn er nie wieder einen Gedanken an uns verschwendet hätte. Doch er ist hier, und ich habe gesehen, wie er dich angeschaut hat. Er wird dich auf Händen tragen und dir Paris zu Füßen legen. Er wird dich aus dem Land bringen, und du wirst leben wie eine Königin. Nur mit einem darfst du niemals rechnen.

Fragend hatte Eva ihre Mutter angesehen.

Du darfst niemals erwarten, dass seine Gefühle anhalten, hatte ihre Mutter gesagt.

Ein dumpfer Donner riss Eva aus ihren Gedanken. Sie widerstand dem Impuls, aufzuspringen, ans Fenster zu stürzen und nach der Qualmwolke, den Spuren der Detonation Ausschau zu halten. Nein, noch waren die Deutschen nicht da. Irgendwo bei Compiègne leisteten die Franzosen erbitterten Widerstand, und wenn die Gerüchte stimmten, die in der Stadt umgingen, bereitete Colonel de Gaulle einen letzten, verzweifelten Gegenschlag vor. Doch sie waren nah, und jeder wusste, dass Paris in den nächsten Tagen fallen würde. Demütigung und Unterdrückung warteten auf die Franzosen.

Auf Eva wartete Schlimmeres, wenn mit den Juden in Frankreich dasselbe geschehen würde, was mit ihnen in Deutschland geschehen war und, noch schrecklicher, seit dem letzten Jahr in Polen.

Noch wenige Minuten bis neun. Sie warf einen Blick auf die schwere Louis-seize-Uhr, die Carol gehörte, wie alles in dem verschwenderisch eingerichteten Appartement. Meine Kleider eingeschlossen, dachte Eva. Streng genommen hatte er sie ihr niemals geschenkt. Er hatte lediglich lächelnd den gewaltigen begehbaren Kleiderschrank aufgestoßen und sie aufgefordert, sich zu bedienen.

Alles gehört Carol, dachte sie, und ihr Blick kehrte zurück zum Spiegel. Auch ich gehöre Carol.

Selbst wenn sie eigenes Geld gehabt hätte: Es gab keinen Ort, an den sie hätte gehen können. Sie wusste nicht einmal, ob ihre Eltern noch am Leben waren. Keiner ihrer Briefe aus Paris war im letzten Jahr beantwortet worden, und Eva wusste, dass das ein Teil der Krankheit war, für die sie aber keinen Namen kannte. Keinen Namen als Müdigkeit, als Angst, als Schwäche.

Ich habe nur Carol, dachte sie. Wenn ich ihn noch habe. Denn sie hatte es gespürt, seit Monaten. Sein nachlassendes Interesse, seine Ausflüchte. Seine Komplimente waren beiläufiger geworden, während ein neuer Zug an ihm sichtbar geworden war: Ungeduld. Türen, die ihr in der ehemaligen Carpathischen Botschaft, in der Carol residierte, immer offen gestanden hatten, wurden ihr nun direkt vor der Nase zugeschlagen. Carol empfing Gäste, führte Verhandlungen, aber sie erfuhr nicht, mit wem. Hoffte er noch immer, irgendwann in sein Land zurückkehren zu können? Oder waren all diese Geheimnisse nicht mehr als eine billige Lüge? Gab es ... eine andere?

Eva spürte, wie sich das Herz in ihrer Brust zusammenzog. Seine veränderten Blicke waren ihr nicht entgangen. Er schätzte sie ab, und nichts entging ihm, nicht der kleinste Schatten um ihre Augen, nicht der Ansatz eines winzigen Fältchens, nicht die leiseste Mattigkeit ihrer Haut, die nicht einmal sie sehen konnte.

Sie hatte mittlerweile das eine oder andere erfahren – über die, die es vor ihr gegeben hatte. Alle waren sie jung gewesen. Sehr jung. Zu jung für einen Mann in den Dreißigern, selbst wenn er mit seinem schmalen Moustache etwas Verwegenes hatte wie der Schauspieler Errol Flynn. Ja, jedes junge Mädchen hätte sich in ihn verlieben können, auch wenn er nicht der König eines Landes gewesen wäre, von dem die meisten Leute nie gehört hatten.

Schließlich ist es mir nicht anders ergangen, dachte Eva. Nicht nur nach Paris – bis ans Ende der Welt wäre ich ihm gefolgt.

In Dahlem war sie ein junges Mädchen gewesen. Als sie ihm in der romantischen Wildnis des Gartens zum ersten Mal begegnet war, hatte sie einen alten, schneeweißen Hut ihrer Mutter getragen, der ihr auf ihrem glatten, feinen Haar viel zu groß gewesen war. Wie ein kleines Mädchen, das Dame spielte.

Das war es gewesen. Er hatte dieses kleine Mädchen in die große, atemberaubende Stadt Paris entführt. In den Louvre. Auf festliche Opernpremieren. Sie hatte Künstler kennengelernt, ja, sogar den Präsidenten der Republik, und am Ende war tatsächlich eine Dame aus ihr geworden.

Und damit war sie uninteressant geworden für Carol von Carpathien.

Ich bin zwanzig, dachte Eva. Ich werde zu alt für ihn.

Sie starrte auf das Bild im Spiegel und war sich fremder denn je.

Doch das durfte keine Rolle spielen. Mit mechanischen Bewegungen trug sie das Rouge auf die Wangen auf, das ihrem Teint eine Lebendigkeit verlieh, die sie nicht empfand. Mit einem tiefen Ton schlug die Louis-seize-Uhr neun Uhr abends. Es war Dienstag, ihr Jour fixe für das wöchentliche Treffen mit Carol. Wenn er verhindert war, gab er ihr vorher Nachricht.

Einer ihrer gemeinsamen Abende, und doch stand heute so unendlich viel mehr auf dem Spiel als bisher. Am nächsten Dienstag würden die Deutschen vielleicht schon in der Stadt sein, und Eva konnte sich nicht vorstellen, dass Carol die Ankunft der Wehrmacht abwarten würde. Er hielt sich zwar alle Türen offen, was seine diplomatischen Optionen betraf, doch für den Moment würde er sich an einen sichereren Ort absetzen, in die Schweiz vermutlich.

Eva musste ihn überzeugen, sie mitzunehmen.

Den Hut hatte sie eher zufällig entdeckt, vor ein paar Wochen erst, im hintersten Winkel des Kleiderschranks. Mit seiner breiten Krempe musste er irgendwann vor fünfzehn Jahren in Mode gewesen sein, doch als Eva ihn probehalber aufsetzte, stellte sie fest, dass er ihr Gesicht veränderte: Sie sah weniger schmal aus. Fröhlicher, jünger. Dem Mädchen aus Dahlem ähnlicher, als sie es wohl je wieder sein würde.

Nachdenklich prüfte sie ein letztes Mal das Bild. Vielleicht war es der Schatten über der Stirn, der ihr etwas Freches und Verschwörerisches gab. Carol würde es gefallen. Eva Heilmann betete darum, dass es ihm gefallen würde. Mein Leben, dachte sie, hängt an einem hässlichen Hut.

Sie griff nach ihrer Handtasche und zog die Wohnungstür hinter sich ins Schloss. Der Fahrer würde unten auf der Straße auf sie warten. So funktionierte ihre Übereinkunft: Eva wurde jede Woche pünktlich in der Residenz angeliefert, nicht anders als die Blumen aus dem Gewächshaus und die Stopfleber vom Balkan. Seit dem ersten Abend, als er ihr das Appartement präsentiert hatte – nur einen Steinwurf von den Champs-Élysées entfernt –, hatte Carol sie dort nie wieder besucht.

Ihre Schritte hallten im Treppenhaus wider. Die Wohnungen auf den unteren Etagen waren an höhere Angestellte mit ihren Familien vermietet. Anfangs hatte sich Eva einige Mühe gegeben, doch zu niemandem einen Draht gefunden. Keine Freunde, keine Familie. Nur Carol.

Sie trat auf die Straße und kniff die Augen zusammen. Im abendlichen Zwielicht hasteten Passanten scheinbar ziellos auf den Trottoirs hin und her. Seitdem die deutsche Offensive begonnen hatte, schien es jeder eilig zu haben. Als könnte hektische Betriebsamkeit das Unausweichliche irgendwie aufhalten. Eine mit Uniformierten besetzte Wagenkolonne bewegte sich rumpelnd stadtauswärts.

Das Automobil mit Carols persönlicher Standarte war nirgends zu sehen.

Eva sah auf ihre Armbanduhr, eines der wenigen Dinge, die wirklich ihr gehörten: ein Geschenk ihres Vaters zu ihrem vierzehnten Geburtstag. Sechs Minuten nach neun. Der Chauffeur hatte sich noch nie verspätet. Carol hatte kein Verständnis für Abweichungen von seinem persönlichen Protokoll.

Unschlüssig sah Eva in beide Richtungen. Die Botschaft war ganze zwei Häuserblocks entfernt. Selbst auf ihren hohen Schuhen war das nicht weit. Und im Achten Arrondissement mit all den Behörden und Regierungsgebäuden konnte sich eine junge Frau auch um diese Uhrzeit gefahrlos auf der Straße bewegen.

Es war etwas anderes. Ein merkwürdiges Gefühl, das in ihrem Magen erwacht war. Eine unangenehme Kälte. Nein, es war noch keine Ahnung, kein Verdacht oder etwas Derartiges, doch mit einem Mal wusste sie, dass sie unter keinen Umständen ins Haus zurückgehen und den Concierge bitten würde, ihr ein Taxi zu rufen.

Sie wollte zu Carol. Sofort.

Mit eiligen Schritten lief sie den Gehweg entlang. Auf der anderen Straßenseite umringte eine Gruppe von Gendarmen einen jungen Mann, und eine stetig wachsende Traube von Menschen umringte ihrerseits die Gendarmen. Die Angst vor Nazi-Spionen hatte sich in den letzten Tagen in Paranoia verwandelt. Eva ließ ein Militärfahrzeug passieren, bog dann um die Ecke in die Rue Vernet, in der sich die Carpathische Botschaft befand.

Sie erkannte auf der Stelle, dass etwas anders war, und konnte doch im ersten Augenblick nicht sagen, was es war. Dann, im nächsten Moment, überschlug sich ihr Puls.

Die Fahne war verschwunden.

Carols Banner über dem Portal der Residenz, das jedem Betrachter unmissverständlich klarmachte, dass in diesem palaisartigen Gebäude ein König lebte. Das Banner war nicht mehr da.

Eva war stehen geblieben, zu keiner Bewegung fähig. Es dauerte Sekunden, bis sie sich aus ihrer Erstarrung löste und mit steifen Schritten auf die große Freitreppe zuging, die sie bisher nur selten betreten hatte. Für gewöhnlich half der Chauffeur ihr am Hintereingang aus dem Wagen.

Die große Doppeltür war verschlossen, beim Näherkommen aber hatte Eva hinter einigen Fenstern im unteren Stockwerk Licht gesehen. Mit eisigen Fingern drückte sie den Klingelknopf. Sie wartete.

Gedämpfte Schritte irgendwo im Innern des Gebäudes. Eva holte Atem, kämpfte die Panik in ihrer Brust nieder. Es musste eine Erklärung geben, irgendeine andere Möglichkeit als den düsteren Umriss, der sich in ihrem Herzen abzeichnete.

Ein metallisches, schabendes Geräusch auf der anderen Seite der Tür, die jetzt einen Spaltbreit geöffnet wurde. Ein junger Mann, den Eva noch nie gesehen hatte. Er trug die Uniform des carpathischen Militärs: ein Unteroffizier. Während des letzten Jahres hatte sie gelernt, die Dienstränge auseinanderzuhalten.

»Ich ...«, begann sie, doch ihre Stimme versagte.

Der junge Mann sah sie an, nicht unfreundlich, eher verwirrt. »Ja? – Es tut mir leid, aber zu wem Sie auch wollen, es ist niemand mehr da.«

Eva tastete nach dem dunklen Stein des Portals. »Nie... Niemand?«

»Hatten Sie einen ...« Der Blick des jungen Offiziers glitt an ihr hinab. Selbst wenn er neu in der Stadt war, musste er in der Lage sein, ein Pariser Abendkleid zu erkennen. »Ich fürchte, alle Termine sind abgesagt worden.«

»Wo ist er hin?« Eva erschrak, als sie ihre eigene Stimme hörte.

»Er?«

»Carol. Wo ist er hin?«

Der junge Mann hob eine Augenbraue. »Leider bin ich nicht befugt, Ihnen ...«

»Was ist da los?«

Schritte, ein unregelmäßiger und schwerer Gang. Im nächsten Moment schob sich ein zweites Gesicht in den Türspalt, und dieses Gesicht kannte Eva. Mikhlava war in der Botschaft eine Art Köchin gewesen, allerdings nicht für die offiziellen Gäste und Empfänge. Für diese Anlässe hatte Carol teure französische Küchenchefs engagiert. Auf die carpathische Küche dagegen verstand sich niemand besser als diese alte Frau, die Eva immer anders begegnet war als Carols distanzierte offizielle Hofbeamte.

»Himmel! Kind!«

Eva sah Überraschung in Mikhlavas Augen, doch auch noch etwas anderes: Bestürzung.

»Sie sind tatsächlich noch hier«, flüsterte die alte Frau. »Er hat es wirklich getan.« Sie schien kurz davor, sich zu bekreuzigen.

Jede weitere Frage erübrigte sich. Carol war fort. Und er hatte Eva ihrem Schicksal überlassen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Erscheinungsjahr
2025
ISBN (eBook)
9783989526006
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2025 (Januar)
Schlagworte
Historischer Roman Historischer Kriminalroman Spionage Roman Spionage Thriller Jahrhundertwende Roman Ken Follett Jeffrey Archer John le Carré Neuerscheinung eBook
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Titel: Welt in Flammen