Miller's Kill: Der kalte Schrei der Schuld
Fergusson & Van Alstyne ermitteln – Band 3 | Ein rätselhaftes Verschwinden, ein alter Fall und eine Stadt, die schweigt …
Zusammenfassung
Als in der amerikanischen Kleinstadt Miller’s Kill ein Arzt der örtlichen Ketchem Klinik verschwindet, ist die Gemeinde in Schock: Wer sollte dem allseits beliebten Dr. Allan Rouse etwas antun wollen? Polizeisheriff Russ van Alstynes Verdacht fällt auf eine alleinerziehende Mutter, die Rouse erst kürzlich beschuldigte, ihren Sohn mit Autismus »infiziert« zu haben – doch Pastorin Clare Fergusson hat ihre Zweifel. Ermittlungen führen sie bald zu einem Fall, der bereits 70 Jahre zurückliegt: 1930 meldete Jane Ketchem ihren Mann, einen angesehenen Arzt und den späteren Namensgeber der Ketchem Klinik, als vermisst – er wurde nie gefunden. Gemeinsam machen Clare und Russ sich auf die Spur eines Geheimnisses, dass bereits mehrere Generationen von Miller’s Kill vergiftet hat …
»Mitreißende Spannung in Kaminfeuer-Atmosphäre.« Krimi-Couch
Der packende dritte Band der amerikanischen Krimireihe MILLER’S KILL – für alle Fans Deborah Crombie und Elizabeth George.
Im nächsten Band müssen Clare und Russ eine Frau suchen, in den Wäldern der Adirondack Mountains verschwunden ist – wurde Millicent entführt?
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Über dieses Buch:
Als in der amerikanischen Kleinstadt Miller’s Kill ein Arzt der örtlichen Ketchem Klinik verschwindet, ist die Gemeinde in Schock: Wer sollte dem allseits beliebten Dr. Allan Rouse etwas antun wollen? Polizeisheriff Russ van Alstynes Verdacht fällt auf eine alleinerziehende Mutter, die Rouse erst kürzlich beschuldigte, ihren Sohn mit Autismus »infiziert« zu haben – doch Pastorin Clare Fergusson hat ihre Zweifel. Ermittlungen führen sie bald zu einem Fall, der bereits 70 Jahre zurückliegt: 1930 meldete Jane Ketchem ihren Mann, einen angesehenen Arzt und den späteren Namensgeber der Ketchem Klinik, als vermisst – er wurde nie gefunden. Gemeinsam machen Clare und Russ sich auf die Spur eines Geheimnisses, dass bereits mehrere Generationen von Miller’s Kill vergiftet hat …
Über die Autorin:
Julia Spencer-Fleming wurde 1961 in der Plattsburgh Airforce Base in New York geboren und verbrachte ihre Kindheit als Tochter eines Soldaten auf verschiedenen Armeestützpunkten, u.a. auch in Deutschland. Sie studierte Geschichte und Rechtswissenschaften und promovierte schließlich an der University of Maine, bevor sie sich ihrer Leidenschaft für die Schriftstellerei zuwandte. Für ihr Roman-Debüt »Das weiße Kleid des Todes« wurde sie direkt mit mehreren renommierten Krimi-Preisen ausgezeichnet.
Die Autorin bei Facebook: facebook.com/juliaspencerfleming/
Die Autorin auf Instagram: instagram.com/juliaspencerfleming
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre packende Spannungsserie MILLER'S KILL mit den Einzeltiteln:
»Das weiße Kleid des Todes«
»Die rote Spur des Zorns«
»Der kalte Schrei der Schuld«
»Das dunkle Netz der Rache«
»Die letzte Stunde der Furcht«
»Der schwarze Tag der Sünde«
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eBook-Neuausgabe Januar 2025
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel »Out of the Deep I Cry« bei Thomas Dunne Books / St. Martin’s Press, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Die bleiche Hand des Schicksals« bei Knaur.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2004 by Julia Spencer-Fleming
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2007 für die deutschsprachige Ausgabe bei Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de unter Verwendung von Motiven von AdobeStock und Shutterstock.com
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)
ISBN 978-3-98952-670-9
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Julia Spencer-Fleming
Miller’s Kill: Der kalte Schrei der Schuld
Fergusson & Van Alstyne ermitteln – Band 3
Aus dem Amerikanischen von Frauke Czwikla
dotbooks.
Widmung
Für Lois Greuling-Fleming
Magst du auch weltliche Güter besitzen
Juwelenschatullen und goldene Litzen
Reicher als ich kannst du niemals sein -
Denn sie las mir vor, die Mutter mein
Strickland Gillian
Kapitel 1
Freitag, 26. Juni 1970
Russ Van Alstyne hatte gerade ein Reißen an seiner Angelschnur gespürt, als er sah, wie sich die alte Dame zwischen den Gräbern, die sie gepflegt hatte, erhob, ihre Gartengeräte niederlegte und in den Stausee schritt. Sie hatte ein winziges Familiengrab gesäubert, vier modrige Grabsteine, die sich unter dem Schutzdach schwarzer Kiefern duckten, so nahe am Ufer von Stewart’s Pond, dass die Bugwelle eines Motorboots die Steine hätte nass spritzen können. Sie war einige Zeit, nachdem er und Shaun ihr Ruderboot zu Wasser gelassen hatten, auf den Friedhof gekommen, und er hatte hin und wieder einen Blick zu ihr hinübergeworfen, während sie sich im Sonnenschein treiben ließen.
Sie hatten schon einige Stunden geangelt, hatten das warme Wetter, ein paar Biere und erstklassiges Gras genossen, das Shauns Bruder in Albany beschafft hatte, aber Russ hatte nur ein paar Sonnenbarsche erwischt, Köderfische, die er zurückwarf, sobald er sie vom Haken genommen hatte.
Deshalb setzte er sich aufgeregt auf, als seine Angelschnur sich spannte wie eine Klaviersaite und der Schwimmer unter der Wasseroberfläche verschwand. Er wusste, dass es ein guter Fang war. Vielleicht eine Forelle. Er hatte gerade seine Bierdose auf den Boden des Bootes gestellt und die Sicherung der Rolle gelöst, um dem Fisch mehr Leine zu geben, als er die alte Frau bemerkte. Sie hatte ein weites, bedrucktes Kleid an, ähnlich den Hauskitteln, die seine Mutter ständig trug, und es wallte um ihre Beine, als sie langsam ins Wasser watete.
»Shaun, guck mal«, sagte er, unsicher, ob er die Situation richtig einschätzte. »Was meinst du, was die alte Dame da macht?«
Shaun wandte den Kopf, wobei die Absolventenquaste mit herumschwang, die er an seinem Anglerhut befestigt hatte. Er verrenkte den Oberkörper, um besser sehen zu können. »Schwimmen?«
»In einem Kleid?«
»Find ich in Ordnung, Mann. Ich würde sie nicht im Badeanzug sehen wollen.« Shaun drehte sich um, kehrte dem Anblick der alten Frau, die ins Wasser schritt, den Rücken. Seine Leine ruckte. »Da beißt einer an.« Er entsicherte die Rolle und gab Schnur. »Keine Sorge, ich war schon mal mit dem Boot dort. Es geht ganz seicht rein.« Mittlerweile reichte ihr das Wasser bis zur Brust, sie bewegte sich stetig voran, ohne die Arme einzusetzen oder unter die Oberfläche zu tauchen, wie man es beim Schwimmen tut. »Die schwimmt nicht«, sagte Russ. »Sie versucht es nicht mal.« Er sah an ihr vorbei zu dem überwucherten Pfad, der von dem kleinen Friedhof durch die Bäume hinauf zur Landstraße führte. Dort war niemand, der sie im Auge behalten hätte. Sie war allein. Er warf Shaun seine Angel zu und streifte die Turnschuhe ab. Schwimmend würde er sie schneller erreichen als mit dem Ruderboot.
Er stand auf und brachte das kleine Boot heftig ins Schwanken.
»He! Bist du verrückt? Wir kentern gleich!« Shaun wirbelte auf seinem Sitz herum und sah gerade noch, wie das Kinn der alten Frau ins Wasser glitt. »Oh, Scheiße«, fluchte er.
Russ zerrte seine Jeans herunter und trat sie von den Beinen, wobei er die Bierdosen umwarf. Er balancierte mit einem Fuß auf der Bootswand und schwang sich ins Wasser. Selbst Mitte Juni war der Stausee kalt, noch gesättigt vom eisigen Schmelzwasser aus den Adirondacks. Sein Körper verkrampfte sich, aber er hielt auf das Ufer zu, mit langen, kräftigen Zügen, das Gesicht rhythmisch ins Wasser tauchend, so schnell, dass er sie aus dem Blick verlor. Er erreichte die Stelle, an der die Schatten der düsteren Kiefern das Wasser in Licht und Dunkel teilten. Er trat Wasser, drehte sich um sich selbst, suchte nach einer Spur von ihr. Sie war verschwunden.
»Sie ist da rüber«, gellte Shaun. Er mühte sich ab, das Ruderboot zu wenden. »Dorthin, ein paar Meter links von dir.«
Russ holte tief Luft und tauchte. Im tiefen Zwielicht des Sees konnte er sie gerade noch erkennen, ein bleiches Gespenst am Rand seines Blickfelds. Als er auf sie zuschnellte, trat sie aus der Düsternis hervor wie eine Fotografie, die entwickelt wird. Sie ging nach wie vor weiter nach unten, was der Grund war, warum es so unheimlich wirkte, ihre Zehen stießen gegen den kiesigen Grund, ihr geblümtes Kleid blähte sich, ihre weißen Haare trieben hinter ihr her. Sie ging immer weiter wie ein ertrunkener Geist, und dann, als könnte sie das Schlagen seines Herzens hören, drehte sie sich um und sah ihn an, die Augen weit geöffnet. Ihre Augen waren schwarz in einem weißen, verhutzelten Gesicht. Es war, als würde eine Tote ihn anstarren.
Er war ein geübter Schwimmer, fühlte sich im Wasser sicher, aber bei diesem Blick geriet er in Panik. Er öffnete den Mund, stieß Luft aus und kämpfte sich, verzweifelt um sich tretend und schlagend, zur Oberfläche. Er tauchte keuchend und prustend auf, würgte und rang nach Luft. Shaun ruderte auf ihn zu, noch immer gut zwanzig Meter entfernt, und kniete sich auf die Ruderbank, als er Russ entdeckte. »Hast du sie gefunden?«, schrie er. »Bist du okay?« Nicht in der Lage zu antworten, hob Russ den Arm. Shauns Hand am Ruder erstarrte. »Jesus! Sie ist doch nicht tot?«
Noch nicht, aber sie würde es bald sein, wenn er sich nicht zusammenriss und sie aus dem Wasser zerrte. Ohne einen weiteren Gedanken zuzulassen holte Russ tief Luft und tauchte wieder hinunter in die Tiefe. Als sie dieses Mal vor ihm auftauchte, ignorierte er ihr Gesicht und konzentrierte sich darauf, seinen Arm im Rettungsgriff unter ihr Kinn zu zwängen. Sie wehrte sich, kratzte an seinem Arm und riss an seinen Haaren, was im Vergleich zu ihrer unheimlichen, gespenstischen Vorwärtsbewegung beinah eine Erleichterung war. Es war normal, etwas, womit er umgehen konnte. Er verstärkte seinen Griff und schoss nach oben, sein freier Arm schmerzte von der Anstrengung, ihr Kleid verhedderte sich in seinen Beinen. Noch ehe er die Oberfläche erreichte, spürte er, wie sie erschlaffte. Wie viele Minuten waren vergangen, seit sie ins Wasser gegangen war? Die Zeit dehnte sich. Er hatte das Gefühl, schon ewig im See zu sein. Als er gemeinsam mit ihr die Oberfläche durchbrach, trieb sie schlaff dahin, nur von seinem Arm unter ihrem Kinn gehalten.
O nein, das tust du nicht. Er drehte sich auf den Rücken und schwamm mit kräftigen Zügen zum Ufer, hielt sie dicht an seine Brust gepresst, während er sich auf den Rhythmus seiner Arme und Beine und seiner Atmung konzentrierte, und er merkte erst, dass er angekommen war, als sein Arm hinter dem Kopf auf groben Sand statt kaltes Wasser traf. Er kam auf die Knie und halb zog er die alte Dame, halb trug er sie auf das Gras. Er hielt ihr die Nase zu, bog ihren Kopf zurück und begann mit der Mund-zu-Mund-Beatmung. Blasen. Einatmen. Blasen. Einatmen.
Er hörte das Scharren des Bootskiels, und dann war Shaun da, fiel auf der anderen Seite neben dem Kopf der alten Dame auf die Knie. »Lass mich mal ran, Mann«, sagte er. »Du musst erst wieder selbst Luft kriegen.« Russ nickte. Er beobachtete, wie Shaun den Rhythmus aufnahm, dann ließ er sich ins Gras fallen.
Er hörte ein gurgelndes Husten und schob sich aus dem Weg, als Shaun die alte Dame auf die Seite rollte. Sie keuchte, würgte und erbrach dann eine erstaunliche Menge Wasser. Sie begann leise zu weinen. Über ihren Schultern begegnete er Shauns Blick. Shaun spreizte die Hände und zuckte die Achseln. Und jetzt?
Russ rappelte sich hoch. Zusammengekrümmt und weinend sah die Frau nicht mehr angsteinflößend aus, nur alt und verloren. »Ich glaube, wir sollten sie ins Krankenhaus bringen«, meinte Russ. »Lauf den Pfad hoch und sieh nach, ob sie ihren Wagen an der Straße abgestellt hat.«
Shaun machte einen Bogen um den winzigen Friedhof und sprang mit großen Schritten den überwucherten Pfad hinauf, bis er aus dem Blickfeld verschwand. Russ kehrte zum Ruderboot zurück und zog es so weit er konnte auf das Gras. Er streifte seine Jeans über – die nach Bier stank – und zog seine Turnschuhe an und war gerade fertig, als Shaun den Pfad wieder herunterrannte.
»’s da oben«, keuchte er und zeigte zur Straße. »Schlüssel steckt und alles.«
»Gut.« Russ kniete sich neben die alte Frau und zog sie vorsichtig in eine sitzende Haltung. »Ma’am? Können Sie gehen? Wie heißen Sie?«
Die alte Dame lehnte sich an seine Schulter. Sie weinte nicht mehr richtig, sondern gab tiefe zittrige Geräusche von sich wie ein kleines Kind. Sie schien ihn nicht zu hören. Er fragte sich, ob sie senil war, und falls ja, wie es dann kam, dass sie allein herumfuhr. Er drehte sich zu Shaun um. »Ich glaube, wir müssen sie tragen.«
»Und was ist mit unserem Kram?« Shaun zeigte auf das Boot. »Es geht nicht nur ums Angelzeug, Mann. Ich hab noch ...«, er senkte die Stimme, als könnte sich ein Drogenfahnder hinter einem der Grabsteine versteckt halten, »fast eine Unze Gras da drin.« Die Frau seufzte rasselnd und verfiel in ein regloses Schweigen, bei dem Russ unbehaglich zumute wurde. »Nimm es mit«, sagte er. »Oder versteck es. Die Frau braucht Hilfe. Wir müssen sie zum Arzt bringen.«
»Oh, Scheiße«, sagte Shaun. »Okay.« Er marschierte zum Ruderboot und griff nach dem Rucksack, in dem er seine Habseligkeiten mit sich zu tragen pflegte. »Aber falls dem Boot was passiert, wirst du es meinem Dad erklären.«
Russ lachte, ein kurzes, scharfes Geräusch. »Prima. Ich werde mich aus dem Staub machen, bevor er mir in den Hintern treten kann.«
Sie verschränkten die Hände und hoben die Frau behutsam im Tragesitz hoch. Nun, da sich ihr Gewicht auf zwei Schultern verteilte, wog sie nicht viel mehr als manche der Tüten, die Russ in Greulings Lebensmittelladen für die Kunden schleppte. Der Pfad zur Landstraße war nicht mal eine halbe Meile lang, und innerhalb von zehn Minuten traten sie aus dem Schatten der Kiefern in den gleißenden Sonnenschein. Shaun wies mit dem Kopf zu einem Rambler Wagon. Zweifarbig: babykackegelb und bräsig- braun. Russ öffnete die Tür zur Rückbank und schloss einen Moment die Augen gegen die schweren, feuchten Hitzeschwaden, die aus dem Wagen strömten.
»Wo sollen wir sie hinpacken?«, fragte Shaun.
»Leg sie auf die Rückbank.« Russ suchte im Heck nach einer Decke oder einem Mantel zum Unterlegen, aber dort fand sich nichts außer weiteren Gartengeräten.
Sie betteten die Frau auf die klebrigen Kunststoffsitze. Sie wirkte klamm und bleicher als zuvor. Russ hatte plötzlich die Vision, wie er und Shaun in einem überhitzten Omaauto in die Stadt einfuhren, eine Leiche auf der Rückbank. Er schauderte.
»Alles in Ordnung?«
»Klar, sicher. Willst du fahren?«
Shaun hob die Hände. »Auf gar keinen Fall, Mann. Wenn sie uns anhalten, will ich nicht, dass die Bullen mir zu nahe kommen.« Er schnüffelte an seinem Hemd. »Riecht man es noch?«
Russ verdrehte die Augen. »Du weißt, dass der Stoff gut war, wenn du paranoid wirst.« Er glitt auf den Fahrersitz und passte die Rückenlehne seinen langen Beinen an. »Spring rein.«
Die Fahrt nach Millers Kill verlief schweigend. Russ konzentrierte sich darauf, so schnell wie möglich zu fahren. Shaun war angespannt, zischte durch die Zähne, wenn Russ eine Kurve zu eng nahm, klammerte sich an den Sitz, wenn ein anderer Wagen sie überholte. Und von hinten kam – nichts. Russ konnte die alte Dame nicht einmal atmen hören. Als sie aus dem Wald hinunter ins hügelige Ackerland gelangten, begannen sich seine Nackenhärchen aufzustellen. Er konnte die Vorstellung nicht abschütteln, dass er sie, würde er sich umdrehen, dort liegen sehen würde, nass, ohne zu atmen, die schwarzen Augen auf ihn gerichtet. Er war dankbar, als sie die Stadt erreichten und er sich auf den dichten Verkehr konzentrieren musste.
Er fuhr auf den Parkplatz der Notaufnahme des Washington County Hospital und schaltete den Motor ab. Shaun sah ihn an. »Und?«, sagte er. »Bringen wir sie rein.« Russ zwang sich, sich im Sitz umzudrehen und nach hinten zu schauen. Und natürlich sah er nichts außer einer bewusstlosen alten Dame. Seine Schultern zuckten, als die Anspannung abrupt nachließ. »Klar«, sagte er zu Shaun. Wäre er weniger verschreckt und mehr Herr der Lage gewesen, wäre er in die Notaufnahme gegangen und hätte ein paar Schwestern geholt, um die alte Dame hineinzurollen. Später fiel es ihm ein, aber zu dem Zeitpunkt schien es naheliegend, sie einfach aus dem Rambler zu ziehen. Er nahm ihre Beine und Shaun die Schultern. Er war so darauf bedacht, einen Zusammenstoß beim Rückwärtsgehen zu vermeiden, dass er den Aufruhr nicht bemerkte, den ihre Ankunft verursachte. Shaun jedoch tat es und ließ die Frau beinahe fallen.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Neuausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2025
- ISBN (eBook)
- 9783989526709
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2025 (Januar)
- Schlagworte
- Kriminalroman Thriller Spannungsroman Kleinstadt-Thriller Deborah Crombie Elizabeth George Broadchurch Mare of Easttown Neuerscheinung eBook