Zusammenfassung
Eine schicksalhafte Begegnung in den 50er Jahren: Als die junge Lily Diamond, genannt Lil, sich in den überaus attraktiven Pat Brodie verliebt, ist ihr ganz egal, wie gefährlich der Mann mit der Narbe im Gesicht wirkt. Schon bald erfährt sie, dass er der aufsteigende Stern in Londons Unterwelt ist und skrupellos alles für seinen Erfolg gibt. Nur ihr zeigt er seine fürsorgliche Seite. Sie gründen eine Familie und alles geht gut – bis zu dem schwarzen Tag, an dem Pat nicht mehr heimkehrt. Doch Lil ist für mehr geschaffen als für das Leben einer trauernden Witwe. Sie ist bereit, die Führung zu übernehmen, zu kämpfen und ihrer Familie das Leben zu ermöglichen, von dem sie und Pat immer geträumt haben – um jeden Preis …
»Martina Cole ist brillant darin, die Guten unter den Bösen darzustellen und umgekehrt, so dass wir bis zum Schluss nie genau wissen, wem wir trauen können. Genau das ist es, was sie so fesselnd macht.« Daily Mirror
Eine düstere Mafia-Familiensaga der britischen Bestsellerautorin, die sich über mehrere Jahrzehnte spannt und wie gemacht ist für alle Fans von Peaky Blinders und Jeffrey Archer!
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Über dieses Buch:
Eine schicksalhafte Begegnung in den 50er Jahren: Als die junge Lily Diamond, genannt Lil, sich in den überaus attraktiven Pat Brodie verliebt, ist ihr ganz egal, wie gefährlich der Mann mit der Narbe im Gesicht wirkt. Schon bald erfährt sie, dass er der aufsteigende Stern in Londons Unterwelt ist und skrupellos alles für seinen Erfolg gibt. Nur ihr zeigt er seine fürsorgliche Seite. Sie gründen eine Familie und alles geht gut – bis zu dem schwarzen Tag, an dem Pat nicht mehr heimkehrt. Doch Lil ist für mehr geschaffen als für das Leben einer trauernden Witwe. Sie ist bereit, die Führung zu übernehmen, zu kämpfen und ihrer Familie das Leben zu ermöglichen, von dem sie und Pat immer geträumt haben – um jeden Preis …
Über die Autorin:
Martina Cole ist eine britische Spannungs-Bestsellerautorin, die bekannt für ihren knallharten, kompromisslosen und eindringlichen Schreibstil ist. Ihre Bücher wurden für Fernsehen und Theater adaptiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Martina Cole hält regelmäßig Kurse für kreatives Schreiben in britischen Gefängnissen ab. Sie ist Schirmherrin der Wohltätigkeitsorganisation »Gingerbread« für Alleinerziehende und von »Women's Aid«.
Die Website der Autorin: martinacole.co.uk/
Die Autorin bei Facebook: facebook.com/OfficialMartinaCole/
Bei dotbooks veröffentlichte Martina Cole ihre Thriller »Die Gefangene«, »Die Tochter«, »Kidnapped«, »Perfect Family«, »The Runaway« sowie die Spannungsromane »Eine irische Familie«, »Die Ehre der Familie«, und »Die Abgründe einer Familie«.
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eBook-Neuausgabe April 2025
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »Close« bei Headline Publishing, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Der Clan« bei Wilhelm Heyne, München.
Copyright © der englischen Originalausgabe 2006 by Martina Cole
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)
ISBN 978-3-98952-619-8
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Martina Cole
Die Ehre der Familie
Thriller
Aus dem Englischen von Jens Plassmann
dotbooks.
Widmung
Für meinen Peter, Mr. Peter Bates
Prolog
Endlich ließ der Schmerz nach, und die Frau stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
Sie warf noch einmal einen Blick auf die Uhr, deren Ticken in dem stillen Raum nicht zu überhören war. Ihre langen Finger zupften an dem Frottierbezug, dann sorgte die Wärme ihrer Bettdecke dafür, dass sie sich wieder entspannte und auf den langen Schlaf vorbereitete.
Ihre alte Großmutter hatte vom langen Schlaf geschwärmt. Für eine Frau sei dies das einzige Mal, dass sie sich völlig folgenlos hinlegen könnte, hatte sie gesagt. Allein das Grab vermochte einem letztlich irgendeine Art von Ruhe zu schenken, meinte sie damit wohl. Darin lag eine Wahrheit, die sie selbst lange nicht verstanden hatte. Lange hatte sie auch nicht glauben wollen, dass eine Zeit kommen würde, in der man des Lebens derart überdrüssig war, dass der Tod tatsächlich einladend wirkte, in der es keine Belastung mehr darstellte, die Menschen zurückzulassen, um die man sich sein ganzes Leben lang gekümmert, für die man sein ganzes Leben gesorgt hatte. Damals wäre es ihr geradezu fantastisch erschienen, sich selbst mit einem dichten Geflecht an Altersfalten vorzustellen, mit einer pergamentdünnen, traurig vergilbten Haut, die Bedauern über ein Leben ausdrückte, das ohne den kleinsten Gedanken an die Zukunft gelebt worden war, damals, als die Zukunft noch eine Bedeutung besaß. Doch am Ende gestaltete man die Zukunft nur dadurch, dass man tatsächlich etwas tat, nicht dadurch, dass man sich wünschte, etwas zu tun. Und schließlich als Krönung von allem hatte sie die unwiderrufliche Erkenntnis, dass Sex nichts als ein Urtrieb war, ein Impuls, eine Körperbetätigung wie Scheißen oder Furzen, und keine Liebe.
Sie stieß erneut einen tiefen Seufzer aus, und die Erschütterung, die ihren spindeldürren Körper erfasste, erinnerte sie daran, wie vergänglich das Leben tatsächlich war.
Zu viel war in ihrem Leben geschehen, und am Ende hatte es alle ihre Kräfte aufgebraucht. Sie hatte das ständige Kämpfen satt, war so weit, sich auszuruhen. Außerdem wollte sie ihr Mädchen, ihre kleine Tochter endlich wiedersehen. Ihre Colleen treffen. Sich um sie kümmern.
Die Zeit war reif für die letzte Ruhe, das wusste sie genau. Aber bis sie all ihre Kinder gesprochen und ihnen ihre Entscheidung erklärt hatte, würde sie auf den richtigen Moment noch warten müssen.
»Ich brech dir gleich dein Scheiß-Genick, wenn du nicht endlich aufhörst, mich hier zu verarschen.«
Die Worte waren leise und ohne jede Wut ausgesprochen, aber es schwang in ihnen eine Bösartigkeit mit, die nur ein Dummkopf zu ignorieren gewagt hätte. Wenn Pat Brodie drohte, geschah dies stets in einer fast freundschaftlichen Form. Es war sein Blick, der seinem Gegenüber klarmachte, dass er es ernst meinte, dass er ihn ohne langes Überlegen und mit einem Lächeln auf den Lippen ausschalten würde.
Mikey Donovan gelang es nur mit Mühe, die Beherrschung zu wahren. Er tat diesem Mann einen Riesengefallen, und das wussten sie beide. Der Handel mit Kokain stellte für Leute, die im Dienst des Innenministeriums standen, einen fristlosen Kündigungsgrund dar, besonders für Vollzugsbeamte, und Mikey machte nun schon eine ganze Weile Geschäfte damit. Jetzt gab es Nachschubprobleme, was Brodie jedoch kaltließ. Was erwartete er denn von ihm, sollte er es vielleicht herzaubern?
Pat Brodie ließ nicht locker. Mikey wusste zwar, dass der Mann derzeit viel um die Ohren hatte mit seiner Mutter, die kurz davorstand, den Löffel abzugeben, aber selbst dem liebenswürdigen und hilfsbereiten Mikey reichte es langsam. Brodie war eine höchst eindrucksvolle Figur, gebaut wie der sprichwörtliche Kleiderschrank und von einer Intelligenz, die weit über dem Niveau der schweren Jungs lag, mit denen Mickey es gewöhnlich zu tun hatte. Rechnete man die angeborene Gerissenheit und seine psychotische Persönlichkeit dazu, dann ergab sich ein enorm gefährlicher Dreckskerl, mit dem man sich besser nicht anlegte. Er saß, weil er angeblich seinen eigenen Bruder umgebracht hatte, und das sagte ja wohl schon alles.
Ihn als harten Kerl zu beschreiben, wäre Mikeys Meinung nach eine gnadenlose Untertreibung gewesen. Harte Kerle waren ihm über die Jahre hinweg schon so einige begegnet, aber dieser Brodie war eine völlig außergewöhnliche Größenordnung. Bei ihm handelte es sich um einen intelligenten Verrückten, und diese Sorte war ebenso gefährlich wie selten.
»Ich hoffe bloß, dass du dich für meinen Sonderurlaub richtig ins Zeug gelegt hast, Donovan, denn ich muss raus, und wenn ich nicht auf Kaution rauskomme, werde ich dich persönlich dafür zur Verantwortung ziehen.«
Mikey seufzte, er hatte nichts anderes erwartet.
Brodie wusste, dass er seine Position arg strapazierte, aber Donovan würde sich niemals rächen, so groß der Wunsch danach auch sein mochte. Letztlich war er bloß ein Schließer. Und wie die meisten Schließer in Hochsicherheitsknästen wusste er genau, wie weit er gehen konnte.
Der schwache Geruch nach kaltem Tee und gebuttertem Toast erinnerte sie an weit zurückliegende Sommertage. Sie schloss ihre Augen und ließ sich von den Bildern der Vergangenheit forttreiben.
Sie spürte noch einmal jene drückende Sommerhitze vor vielen, vielen Jahren, eine Hitze, die so stark war, dass die Benzingase schwer in der Luft hängen blieben. Sie konnte noch einmal die unterschiedlichen Düfte der Sonntagsessen riechen, die überall in der Straße auf dem Herd standen. Die Männer erwarteten, ihren Braten vorgesetzt zu bekommen, ohne Rücksicht darauf, dass es in den Küchen unerträglich heiß war oder dass wegen der Trockenheit in diesem Sommer mal wieder überall auf den Straßen die Hydranten im Einsatz waren. Die Frauen hatten gefälligst dafür zu sorgen, dass um Punkt drei ein üppiges Mittagessen auf dem Tisch stand. Denn nach ihrem Rauswurf aus den Pubs würden die Männer nach Hause wanken, völlig betrunken und mit einem gewaltigen Hunger, der immer weiter angewachsen war, seit sie bereits morgens um halb elf angefangen hatten, kräftig zu bechern.
Rinderbraten war das bevorzugte Gericht an diesen Tagen, aber häufig roch es auch nach Hühnchen oder Schwein, vor allem wenn Geldmangel herrschte und jemand eine Sackkarre im Schlachthaus abgezweigt hatte, sodass es Fleisch gab, obwohl die Haushaltskasse eigentlich nicht einmal für die Zutaten eines Sandwichs gereicht hätte. Alles bloß eine Frage des Organisierens, wie ihr alter Herr immer gesagt hatte. Das Organisieren ließ die Dinge anders aussehen, und Organisieren war lediglich eine weitere beschönigende Wendung für Klauen, ob es sich nun um Fleisch, Kleidung oder sonst etwas handelte. Dank dieses Organisierens bekam jeder am Ende etwas ab. Mit Ausnahme natürlich der Leute, von denen die Sachen organisiert wurden, aber die zählten nicht. Besaßen die schließlich nicht schon genug?
Beim Gedanken an diese geruhsam dahinplätschernden Tage musste sie lächeln. Dann fiel ihr ein, dass auch ihr Mann von diesem Organisieren gelebt hatte und wie viel Ärger sein Tod, seine Ermordung, verursacht hatte. Vollkommen blank war sie damals gewesen, und das wiederum hatte neue Probleme nach sich gezogen. Am Ende hatte sie mit zwei weiteren Kindern dagestanden, nur um die zu ernähren, die sie bereits vorher bekommen hatte. Zuerst war es der Lebensinhalt ihrer Mutter geworden, ihr zu erzählen, was für einen Scheiß sie gebaut hatte. Dann war sie plötzlich dazu übergegangen, sie als perfekte Tochter darzustellen, nur weil sie gemerkt hatte, dass sie es mit sich allein nicht aushielt. Und diese Frau hatte Lance vom Tag seiner Geburt an so sehr geliebt, es war eine regelrechte Manie bei ihr gewesen. Von Beginn an hatte sie ihn angehimmelt. Sie dagegen hatte ihn, ihren eigenen Sohn, nie leiden können. Sie war das Gefühl nicht losgeworden, dass er etwas Unheimliches an sich hatte, selbst als er noch ein Baby war. Und sie hatte recht behalten.
Pat Junior, ihr Ältester, war immer schon als Anführer betrachtet worden. An seiner rauen, aber herzlichen Fürsorge hatten sich die anderen Jungs, die wussten, was von ihnen erwartet wurde, stets ein Vorbild genommen. Pat liebte die Schwestern, kümmerte sich aufmerksam um sie, ebenso wie um seine Brüder, alles auf seine eigene, bisweilen etwas planlos wirkende Weise. Colleens Tod hatte ihn hart getroffen, und sie konnte seine Empfindungen nur zu gut nachvollziehen; ihr hätte dieser Schlag fast den Rest gegeben. Aber sie hatte eine Menge daraus gelernt, sie alle hatten eine Menge gelernt.
Die arme Colleen war einfach viel zu gut für diese Welt gewesen, eine alte Redensart, die sich hier jedoch als äußerst zutreffend erwiesen hatte.
Kathleen und Eileen, die Zwillinge, verehrten ihren Bruder Pat genauso, wie Colleen es getan hatte. Er hatte sie immer in den Arm genommen, gedrückt und noch einmal zum Lachen gebracht, bevor er zurück zum Fußballspielen ging, verfolgt natürlich von den bewundernden Blicken der Mädchen. Er war ein guter Junge, und er war ein anständiger Kerl geworden, was auch immer manche Leute über ihn sagen mochten. Er war ganz der Sohn seines Vaters, schon allein aus diesem Grund würde sie ihn stets lieben.
Na, und ihr Shawn war ebenfalls ein guter Kerl, ebenso wie Shamus, und bevor sie in den langen Schlaf fiele, würde sie die beiden noch einmal ausgiebig betrachten.
Der lange Schlaf war eine herrliche Vorstellung. Sie war müde, entsetzlich müde. Ihre Gedanken waren wieder in die Gegenwart zurückgekehrt, und jetzt konnte sie den schwachen Geruch ihres eigenen Körpers wahrnehmen. Ihr Schweiß roch süßlich, fast nach Mandeln, was sie den starken Medikamenten zuschrieb, die sie nahm. Der Geruch, der ihren Poren entströmte, bildete eine ständige Erinnerung an ihr Alter und ihren schmerzgepeinigten Körper.
Inzwischen war kaum etwas mehr von ihr übrig, die einst sinnlichen Formen hatten sich in nichts als Knochen und schlaffe Haut verwandelt. Sie lächelte, sie sah aus wie ihre eigene Großmutter. Oh, wie die Geschichte sich doch ständig wiederholte.
Aber ihr Leben war ereignisreich gewesen, daran konnte kein Zweifel bestehen.
Sie schloss ihre Augen und zog sich wieder in die Vergangenheit zurück, die für sie mit jeder vergehenden Stunde mehr und mehr an Wirklichkeit gewann.
Patrick Brodie wartete noch immer geduldig auf die Nachricht, ob er seine im Sterben liegende Mutter besuchen durfte. Er machte sich keine allzu großen Hoffnungen, obwohl sein Anwalt betont hatte, dass er sich schließlich nur in Untersuchungshaft befand, auch wenn alle so taten, als wäre er schon verurteilt. Nur zu gerne würde er sie noch einmal an sich drücken. Ihre vertraute Umarmung ein letztes Mal spüren.
Sie war ein verruchtes Weibsstück gewesen und eine klasse Mutter, ungeachtet all der Dinge, die ihr in ihrem Leben widerfahren waren.
Er sah sie in ihren Glanzzeiten vor sich, so wie er sich immer an sie erinnerte, eine Frau, die nicht auf den Mund gefallen war und seinen Vater in die Schranken wies. Er erinnerte sich, wie sie ihre opulenten Mahlzeiten zubereitete, die unvermeidliche Zigarette zwischen den Lippen baumelnd.
Sie war ein echtes Original, und er liebte sie mehr als sonst irgendjemanden, trotz all der Probleme, die nach dem unerwarteten, frühzeitigen Tod seines Vaters entstanden waren.
Die Ermordung seines Vaters hatte sie alle schwer getroffen, aber seine Mutter am schwersten. Sie hatte mehr als ihren Ehemann verloren. Ihr war vielmehr der einzige Mensch genommen worden, der ihr abgesehen von ihren Kindern jemals wirklich Anerkennung und Respekt entgegengebracht hatte.
Der Tod seines Vaters war der Auslöser für all ihre Probleme und entbehrungsreichen Jahre gewesen, das hatte er inzwischen erkannt. Dieser Tod hatte aus Pat den Mann gemacht, der er war, hatte ihn dahin gebracht, wo er heute stand. Ein Mann, der in diesem Moment unter Anklage stand, seinen eigenen Bruder umgebracht zu haben. Ein Mord, für den er auch nicht einen Hauch von Reue empfand, nur das Bedauern, es nicht bereits früher getan zu haben. Abgeknallt und abserviert hätte er gehört. Ausgelöscht, wie man es mit jeder Art von gefräßigem Schädling tun würde. Nachweisen konnten sie es ihm nicht, und reden würde keiner, das war für ihn so sicher wie das Amen in der Kirche. Jeder wusste, dass er die Drecksarbeit erledigt hatte, aber niemand konnte es ihm nachweisen. In diesem Land brauchte man Beweise, keine Verdachtsmomente, und er rechnete zuversichtlich mit einem Freispruch vor Gericht.
Eigentlich gab es keinen Grund, ihn nicht rauszulassen, damit er seine Mutter besuchen konnte, aber sie würden trotzdem nichts unversucht lassen, ihn hierzubehalten, davon war er überzeugt. Sie hassten ihn, und sie hatten allen Grund dafür. Er verachtete das ganze Justizsystem, und wann immer er eingefahren war, hatte er es mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft.
Er atmete tief durch, denn er spürte, wie der ihm wohlbekannte Zorn wieder einmal in ihm anstieg, jener Zorn, der schon immer da gewesen war, der ihn schreckliche Dinge hatte tun lassen. Aber er spürte auch seine Entschlossenheit, ihn im Zaum zu halten, bis er bei der Frau gewesen war, die ihn geboren und stets geliebt hatte.
Danach würde er ihm freien Lauf lassen, würde erneut die Erleichterung fühlen, die ihn dabei überkam, und den Frieden, der sich anschließend stets einstellte.
Bis zum nächsten Mal.
Eileen zündete sich eine Zigarette an, nahm einen kräftigen Zug und blinzelte die Tränen fort, die ihr die Wangen hinabzulaufen drohten.
Ein paar Minuten zuvor hatte sie ihre Mutter gewaschen, und deren immenser körperlicher Verfall hatte sie tief getroffen.
Die Frau war nur noch ein Skelett, ihre Arme und Beine spindeldürr, ihr Brustkorb eingefallen und von den Blutungen unter der Haut mit Hämatomen übersät, und die Narben von ihrer Brustamputation hatten in dem dämmrigen Licht hässlich geleuchtet.
Durch das Fenster in der Küchentür beobachtete sie, wie ihre Zwillingsschwester Kathleen Brote schmierte und mit jedem quasselte, der bereit war, ihr zuzuhören. Die arme Kath, wie sie genannt wurde, ihr würde es auch besonders schwer zusetzen.
Dieses Dreckschwein von Lance war tot, aber keiner von ihnen würde ihn jemals vergessen können, wie sehr sie sich auch darum bemühen würden, jeden Gedanken an ihn aus ihren Köpfen zu verbannen.
Sein Tod war eine Art Schlusspunkt für ihre Mutter gewesen, und Eileen wusste, dass sie sich nur noch ans Leben geklammert hatte, bis an seinem Ende kein Zweifel mehr bestehen konnte.
Lance hatte es zu weit getrieben, und die Abscheulichkeit seiner Taten hatte die gesamte Familie zutiefst erschüttert. Eileen wusste allerdings auch, dass niemand von ihnen den Grund, aus dem er sterben musste, jemals ausplaudern würde. Er stellte ein weiteres Familiengeheimnis dar, und an Geheimnisse waren sie schließlich alle gewöhnt, Vertraulichkeit zu bewahren hatten die Brodies von Kindesbeinen an gelernt.
Sollten die Leute doch herumrätseln, sollten sie Spekulationen anstellen, ihr war das inzwischen vollkommen gleichgültig.
Es war vorbei, die Sache war geschehen, und sie hatten sich darum gekümmert.
Erstes Buch
Du siehst, Herr, wie mir Unrecht geschieht;
hilf mir zu meinem Recht!
– Klagelieder des Jeremias 3, 59
Kapitel 1
»Er ist halt ein Halunke, genau wie sein Alter, aber was soll man da machen?« Barry Caldwell breitete seine Arme in einer Geste gespielter Hilflosigkeit aus, und die Männer in der Kneipe griffen sein Lächeln auf. Allerdings wirkte ihre Heiterkeit gequält, was Barry nicht entging und woraus er einen wichtigen Schluss zog. Er hatte dem Falschen ans Bein gepinkelt.
Patrick Brodie jedoch lachte herzlich über die Worte des Mannes.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Neuausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2025
- ISBN (eBook)
- 9783989526198
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2025 (April)
- Schlagworte
- Spannung Familiensaga Mafia-Roman Mafia-Thriller Brit-Crime Ken Follet Jeffrey Archer Peaky Blinders Tana French eBook