Die Gefangene
Thriller: Wenn dein Zuhause nicht mehr sicher ist ...
Zusammenfassung
Susan Dalston sitzt hinter Gittern: Über einhundert Mal hat sie mit dem Tischlerhammer auf ihren Ehemann Barry eingeschlagen, sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerstört. War es Rache für die vielen Male, die er sie gedemütigt und verprügelt hat? Ihre Anwältin Geraldine hat eine andere Vermutung, als sie erfährt, wie hingebungsvoll Susan sich jahrelang um ihre Kinder gekümmert hat. Aber da Susan nicht über ihre Tat sprechen will, muss sie ihre Nachforschungen heimlich anstellen. Was sie dabei herausfindet, ist so ungeheuerlich und tragisch, dass es ihr den Atem verschlägt …
»Kraftvoll und unglaublich spannend. Martina Coles Figuren sind unvergesslich.« Mirror
Was als Familientragödie beginnt, endet in brutalem Mord – wer ist Opfer, wer Täter? Ein Thriller der britischen Bestsellerautorin, der die brutale Realität alltäglicher Gewalt gegen Frauen schonungslos und authentisch darstellt. Fans von Joy Fielding werden begeistert sein.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Über dieses Buch:
Susan Dalston sitzt hinter Gittern: Über einhundert Mal hat sie mit dem Tischlerhammer auf ihren Ehemann Barry eingeschlagen, sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerstört. War es Rache für die vielen Male, die er sie gedemütigt und verprügelt hat? Ihre Anwältin Geraldine hat eine andere Vermutung, als sie erfährt, wie hingebungsvoll Susan sich jahrelang um ihre Kinder gekümmert hat. Aber da Susan nicht über ihre Tat sprechen will, muss sie ihre Nachforschungen heimlich anstellen. Was sie dabei herausfindet, ist so ungeheuerlich und tragisch, dass es ihr den Atem verschlägt …
Über die Autorin:
Martina Cole ist eine britische Spannungs-Bestsellerautorin, die bekannt für ihren knallharten, kompromisslosen und eindringlichen Schreibstil ist. Ihre Bücher wurden für Fernsehen und Theater adaptiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Martina Cole hält regelmäßig Kurse für kreatives Schreiben in britischen Gefängnissen ab. Sie ist Schirmherrin der Wohltätigkeitsorganisation »Gingerbread« für Alleinerziehende und von »Women's Aid«.
Die Website der Autorin: martinacole.co.uk/
Die Autorin bei Facebook: facebook.com/OfficialMartinaCole/
Bei dotbooks veröffentlichte Martina Cole ihre Thriller »Die Gefangene«, »Die Tochter«, »Kidnapped«, »Perfect Family«, »The Runaway« sowie die Spannungsromane »Eine irische Familie«, »Die Ehre der Familie«, und »Die Abgründe einer Familie«.
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eBook-Neuausgabe November 2024
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1997 unter dem Originaltitel »Two Women« bei Hieronymus.
Copyright © der englischen Originalausgabe 1997 by Hieronymus, Inc.
Published by Arrangement with Martina Cole
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlasgruppe Random House GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von © Ana / Adobe Stock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)
ISBN 978-3-98952-485-9
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Martina Cole
Die Gefangene
Thriller
Aus dem Englischen von Michélle Pyka
dotbooks.
WIDMUNG
Für Christopher, Freddie und Lewis.
Sohn, Tochter und Enkel, Hüter meines Herzens.
Und für Sally Wilden
Mit deinen hübschen Kostümen und Nobelschuhen!
Für mich wirst du immer Sally Wally bleiben.
Spielkameradin und Spätabends-Weinflaschen-Künstlerin!
Eine Freundin fürs Leben, ein Kumpel für die Ewigkeit.
(Erinnerst du dich an die Wand in der technischen Fachschule?)
PROLOG
Im Inneren des Gefangenentransporters war es schwülwarm. Die Hitze des Sommertages wurde von den Metallwänden noch verstärkt. Susan Dalston spürte, wie Schweißtropfen zwischen ihren Brüsten hinabliefen, und hob mit einer müden Geste beide Hände an ihre Schläfen.
»Irgendeine Chance auf ein kaltes Getränk?«
Die Vollzugsbeamtin schüttelte den Kopf.
»Wir sind schon fast da, du wirst warten müssen.«
Susan beobachtete, wie die Frau einen tiefen Schluck aus einer Pepsidose trank und sich dann genüsslich über die Lippen leckte. Sie zwang sich, auf den Boden zu starren, und bekämpfte den Drang, dieses hochnäsige Miststück ins Gesicht zu schlagen. Genau das wollte die doch – dass Susan Dalston handgreiflich wurde und sich mit einer unbedachten Bewegung ihr Berufungsverfahren versaute. Doch Susan blickte der Beamtin stattdessen fest in die Augen und grinste.
»Was ist denn so lustig?«
Sie schüttelte mit gespielter Traurigkeit den Kopf. »Ich habe nur gerade gedacht: Sie Arme, an so einem Tag hier drin zu sitzen. Echt unfair, oder? Und den ganzen Rückweg nach Durham haben Sie auch noch vor sich. Ein langer Tag, was?«
Die Beamtin nickte. »Stimmt, aber ich werde heute Abend in meinem schönen Bett liegen, fernsehen und mit dem Schwanz meines Alten spielen. Und was wirst du tun? Ich habe wenigstens etwas, worauf ich mich freuen kann.«
Der Wagen kam ruckartig zum Stehen. Susans Handgelenke schmerzten von den Handschellen. Sie wusste, dass die Beamtin sie hätte abnehmen können, aber ihr war auch klar, dass sie dies niemals tun würde. Danby war eine stahlharte Schließerin, das sagten alle, und Susan wollte ihr nicht die Gelegenheit geben, ihr eine Bitte abzuschlagen. Als Lebenslängliche, als Mörderin, hatte sie sich schon vor geraumer Zeit damit abgefunden, dass mit Menschen wie Danby nicht leicht auszukommen war.
Sie schienen es zu genießen, die Gefangenen herumzukommandieren, und auf gewisse Weise verstand Susan das sogar. Sie hatte gehört, dass Danbys Mann anderen Frauen nachstieg, ihre Kinder ständig Schwierigkeiten in der Schule hatten und das Haus der Familie in Kürze an die Bank zurückfallen würde.
Die Schließerinnen tratschten genauso viel wie die Insassen.
Susan konnte auch durchaus nachvollziehen, warum Danby das Bedürfnis hatte, jeden um sich herum schlecht zu machen. Das lag wohl in der Natur des Menschen. Und es war Danbys Art, mit ihrem beschissenen Leben und dem beschissenen Job fertig zu werden.
Der Transporter fuhr wieder an, und Susan stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Der Verkehr in London war entsetzlich, vor allem am frühen Nachmittag. Seit halb sechs morgens saß sie nun schon in diesem Wagen, und nur einmal hatten sie angehalten, damit sie auf die Toilette gehen und einen Happen essen konnte. Danby hatte sich einen Picknickkorb mitgenommen und nach Herzenslust gegessen und getrunken, wohl wissend, dass Susan nichts tun konnte, als ihr gefesselt und verbissen dabei zuzusehen.
Das Sichtfenster zur Fahrerkabine wurde geöffnet, und eine Männerstimme dröhnte: »Wir haben es gleich geschafft, Mädels. Noch zehn Minuten, dann können wir alle endlich die Beine ausstrecken.«
Der Fahrer ließ das Fenster offen, und David Bowies »Life on Mars« drang an Susans Ohren. Wieder schloss sie die Augen und seufzte tief.
Danby starrte sie mit verschlossener Miene an.
»Dalston!«
Es war nicht mehr als ein eindringliches Flüstern.
Susan schlug die Augen auf und drehte den Kopf gerade noch rechtzeitig zur Seite, dass der letzte Schluck von Danbys Pepsi sein Ziel knapp verfehlte. Die dunkle Flüssigkeit spritzte über ihre weiße Häftlingskleidung.
»Die lassen dich nicht raus, Madam. Nicht, wenn ich es verhindern kann.«
Es war eine leere Drohung, das wussten sie beide.
Susan hielt den Kopf gesenkt und starrte wieder auf den Boden. Schweigend legten sie den Rest der Fahrt zurück, und der Wagen passierte schließlich das Haupttor der Vollzugsanstalt Holloway. Fünfzehn Minuten nach der Ankunft öffneten sich endlich die Türen. Susan wurde von Danby mehr oder weniger hinausgezerrt, und während sie im blendenden Tageslicht stand und den frischen Luftzug auf ihrem Gesicht spürte, überkam sie ein überwältigendes Gefühl von Überdruss.
Die trostlose Fassade des Gefängnisses gemahnte sie eindringlich daran, welches Leben ihr hier bevorstand. Türen, die sich schlossen, Tore, die klappernd zufielen, das Geräusch von Schlüsseln, die sich in Schlössern drehten – das war alles, was sie von nun an zu erwarten hatte.
Obwohl sie bereits seit zwei Jahren so lebte, machte ihr erst diese Verlegung für ihr Berufungsverfahren all das wirklich klar. Der flüchtige Blick auf die Freiheit ließ sie das Gefängnisleben bewusster wahrnehmen.
Susan wusste, dass sie niemals freikommen würde, wenn sie nicht kooperierte, aber sie wusste genauso gut, dass sie niemals verraten konnte, was mit ihr geschehen war, niemandem jemals die Wahrheit erzählen konnte. Sie war zu schrecklich und immer noch zu real, als dass Susan darüber reden konnte. Manche Dinge behielt man einfach für sich.
Sie lächelte über die Ironie des Schicksals.
Susan war angemeldet, die Übergabe ging reibungslos vonstatten. Aus Danbys Mund ergoss sich ein endloser Strom von Beschimpfungen, aber die Holloway-Vollzugsbeamtin gab sich keine Mühe, ihr zu antworten. Sie kannte das alles schon.
Sie unterbrach Danby mitten im Satz und sagte leise: »Gehen Sie zurück zur Aufnahme, von dort wird man Sie gemeinsam mit den anderen zur Kantine bringen. Hier haben Sie keinen weiteren Zutritt.« Sie warf die Tür heftig vor Danbys Nase zu, und Susan erlaubte sich ein kleines Lächeln. Sie blickte zwischen den Gitterstäben hindurch und zwinkerte der anderen Frau zu.
»Ich hab ein Auge auf dich, Dalston.«
»Sie können mich mal gernhaben, Mrs Danby.«
Die Schließerin nahm ihr die Handschellen ab. Susan rieb sich die Handgelenke und folgte ihr einen staubigen Korridor entlang.
»Nordenglisches Arschloch! Die in Durham halten sich alle für was Besseres, weil sie einen Hochsicherheitsknast führen. Die sollten mal für eine Weile in diesem Scheißhaus arbeiten! Bei Untersuchungshaft dreiundzwanzig Stunden Einschluss ... Sogar die Ladendiebe werden irgendwann sauer, ganz zu schweigen von den richtigen Sträflingen.«
Die Beamtin schloss eine weitere Tür auf. »Schon was gegessen?«
Susan schüttelte den Kopf. »Nichts seit heute Morgen. Aber ich habe einen Schluck Pepsi bekommen.« Sie lachte, doch die Schließerin verzog keine Miene, da sie den Witz nicht verstand.
»Du solltest es hier ruhig angehen lassen, Dalston. Wir wissen alles über dich und diese kleine Schlägerei. Ich habe gehört, dass die Schwester es verdient hatte, und das ist in Ordnung, aber versuch erst gar nicht, solche Mätzchen hier zu bringen. Wir haben alle genug zu tun und wollen nicht noch den Babysitter für dich spielen müssen, O. K.? Wenn du jemandem einen Tritt verpassen willst, dann mach das in deiner eigenen Zelle. Wir haben nichts gesehen. Verstehen wir uns?«
Susan wurde plötzlich ernst und nickte.
»Denk daran – hier triffst du an allen Ecken und Enden auf Lesben, und zwar nicht nur unter den Häftlingen. Pass auf dich auf. Wenn du etwas tust, tu es vorsichtig und unauffällig, das ist der einzige Rat, den ich dir geben kann. Dein Ruf ist dir vorausgeeilt, aber das hast du dir bestimmt schon gedacht. Die Art und Weise, wie du deinen Alten abgeschlachtet hast, spricht nicht gerade für dich. Hör auf mich – zieh den Kopf ein und bleib sauber, dann haben wir alle was davon.«
Schweigend setzten sie ihren Weg zum Zellentrakt fort. Der Lärm von Hunderten von Frauen war ohrenbetäubend und wurde immer lauter, je näher sie kamen.
Im Inneren des Gebäudes überfielen Susan nicht nur Geräusche, sondern auch Gerüche. Überall hing der Gestank nach verkochtem Kohl in der Luft, zusammen mit den schärferen Gerüchen nach Schweiß und billigen Seifen und Deodorants. Die Frauen redeten laut miteinander, um die plärrenden Radios zu übertönen. Susan wusste, dass jeder Neuankömmling genau beobachtet wurde, also hielt sie sich gerade und presste ihr Bündel gegen die Brust. Die Menge bestand aus der üblichen Gefängnismischung: aufgetakelte Prostituierte, unscheinbare Scheck- und Kreditkartenbetrügerinnen, verbraucht aussehende Junkies. Ein anderer Knast, dieselben Gesichter.
Es war alles so deprimierend.
Als Susan die Treppe zum ersten Stock hochstieg, hörte sie auf einmal ein lautes Lachen, drehte sich um und starrte unvermittelt in ein Paar wunderschöne, weit aufgerissene grüne Augen. Die dazugehörige Frau war sehr zierlich und wirkte wie eine Puppe. Sie lächelte Susan so strahlend an, dass diese das Lächeln beinahe zurückgab.
Die Vollzugsbeamtin stieß das Mädchen fort. »Eine Kindesmörderin, Dalston. Nimm dich vor ihr in Acht. Sieht aus wie ein Engel, aber sie ist verrückter als ein tollwütiger Hund. Hat ihr Baby auf den Bürgersteig fallen lassen – aus ihrer Sozialwohnung im sechzehnten Stock. Wochenbettdepression. Sie wird freikommen. Aber bis dahin haben wir sie am Hals.«
Sie erreichten eine offene Zelle. Die Beamtin trat ein, und Susan folgte ihr mit einem Gefühl von Beklemmung. Man hatte keine Ahnung, mit wem sie einen zusammenlegten, und ehe man seiner Zellengenossin nicht gründlich auf den Zahn gefühlt hatte, konnte man sich kaum entspannen.
Auf dem oberen Bett lag Matilda Enderby, mit kastanienbraunen, untadelig frisierten Haaren und perfektem Make-up. Sie setzte sich auf und warf Susan einen kurzen Blick aus dunkelbraunen Augen zu. Dann wandte sie sich an die Beamtin und sagte leise: »Sie wollen das da bei mir einquartieren?«
Matilda hatte eine tiefe, rauchige Stimme, deren Akzent ihre Zugehörigkeit zur Mittelschicht verriet.
Susan sah der Frau direkt in die Augen und versuchte es mit einem Lächeln.
Die Beamtin erwiderte scharf: »Hör zu, Enderby, hier drin kannst du es dir nicht aussuchen, Schätzchen. Das Recht hast du in der Nacht verwirkt, in der du deinen Alten umgebracht hast. Und da ihr beide aus dem gleichen Grund sitzt, habt ihr vielleicht mehr gemeinsam, als ihr denkt.«
Sie verließ die Zelle und zog die Tür hinter sich zu.
Susan legte ihr Bündel auf das untere Bett und öffnete es. Als Erstes entnahm sie ihm die Fotos und Briefe ihrer Kinder. Dann entrollte sie schnell ihre wenigen Habseligkeiten und verstaute sie in der leeren Schublade des kleinen Schreibtisches.
Matilda Enderby verfolgte jede ihrer Bewegungen.
Nachdem Susan fertig war, legte sie sich auf das Bett und betrachtete die Gesichter ihrer Kinder, vor allem dasjenige des Babys.
Matilda ging hinaus und kam einige Zeit später mit zwei großen Tassen Tee zurück. Sie riss eine Packung mit Keksen auf und platzierte ein paar davon neben Susan auf das Bett.
»Hast du auf deinen Alten tatsächlich ...«
Susan unterbrach sie mit beißendem Tonfall. »Einhundertzweiundfünfzig Mal mit einem Tischlerhammer eingeschlagen? Ja. Ich habe die Schläge gezählt, da hatte ich wenigstens etwas, worauf ich mich konzentrieren konnte.«
Matilda nickte. Sogar ihr Gesicht wirkte nun völlig ruhig. Die zwei Frauen schwiegen für eine Weile.
»Und was ist mit dir?«
Matilda lächelte. »Erkennst du mich nicht? Mein Fall erregt zurzeit ziemlich große Aufmerksamkeit in den Medien. Ich werde bald hier rauskommen. Bei mir war es ein einziger Stich ins Herz, und der Mistkerl hatte es verdient, bei allem, was ich seinetwegen durchmachen musste.« Ihre Stimme war voller Verbitterung, als sie fragte: »Warum hast du es getan?«
Susan zuckte mit den Achseln. »Wer weiß?«
»Nun, du weißt es bestimmt, auch wenn du es nicht sagst.«
Susan gab ihr keine Antwort. Stattdessen sank sie zurück auf das Bett und versuchte, an gar nichts zu denken. Sie hatte nie jemandem von den Ereignissen erzählt, die dem Mord vorausgegangen waren, und glaubte auch nicht, dass sie jemals darüber reden würde. Zu viele Menschen waren darin verwickelt, zu viele Geheimnisse galt es zu bewahren.
Genau genommen hatte ihr ganzes Leben aus nichts anderem bestanden als aus Lügen und Geheimnissen.
Später am Tag, als der Gefängnislärm langsam verebbte und sich die Zellentür endgültig schloss, überließ sich Susan ihren Gedanken. Denselben Gedanken wie jede Nacht. Nur in ihrem eigenen Kopf und in der Dunkelheit der Nacht erlaubte sie sich, darüber nachzudenken, was sie getan hatte, und – wichtiger noch –, warum sie es getan hatte.
Sie wusste, dass sie sich ihre Kindheit und Jugend vor Augen führen musste, wenn sie ihre Handlungen verstehen wollte. Darin lag der Schlüssel für alles, was ihr später widerfahren war. Nach zwei Jahren, in denen die Psychiater immer wieder versucht hatten, das Motiv hinter ihrem Verbrechen zu entdecken, begriff Susan nun endlich, warum sie das mit Barry gemacht hatte.
ERSTES BUCH | 1960
Nichts beginnt und nichts vergeht
Das nicht mit Schmerz bezahlt;
Denn uns gebiert des anderen Schmerz
Und uns zerstört die eigene Qual.
Francis Thompson | 1859–1907, »Daisy« | 1913
»Oh! Wie viele Qualen enthält das kleine
Rund eines Eherings.«
Colley Cibber | 1671–1757, »The Double Gallant« | 1707
KAPITEL EINS
Das Mädchen schlug die Augen auf. Schlaf klebte in ihren Augenwinkeln, und sie wischte ihn mit ihrer kleinen Hand fort. Sie hörte das gleichmäßige Atmen ihrer Schwester, kurze, gedämpfte Schnaufer, die sie an einen Hundewelpen erinnerten. Das Bett war warm und wie eine Schutzhülle. Sie schmiegte sich an den Rücken der Schwester – die beiden kleinen Körper passten aneinander wie zwei Löffel – und dämmerte wieder ein.
Ein Krachen weckte sie beide.
Susan wusste, dass sie nicht lange geschlafen haben konnte, denn ihr Arm fühlte sich noch nicht so taub an wie sonst, wenn sie sich die ganze Nacht an die knochige Gestalt ihrer Schwester gekuschelt hatte.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Neuausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2024
- ISBN (eBook)
- 9783989524859
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2024 (November)
- Schlagworte
- Spannung Thriller Häusliche Gewalt Thriller England-Thriller Domestic Noir Thriller Familiengeheimnis-Roman Joy Fielding Cara Hunter Louise Jensen eBook