Die Tochter
Thriller: Er beobachtet sie. Er jagt sie. Er tötet sie.
Zusammenfassung
Auch ein Gangster hat einen wunden Punkt – und ist gnadenlos, wenn die, die ihm am nächsten stehen, angegriffen werden … Das wird Polizistin Kate Burrows klar, als sie den Unterweltboss Patrick Kelly befragt. Nicht als Täter, sondern als den Angehörigen eines Opfers: Denn seine über alles geliebte Tochter wurde von einem eiskalten Serienkiller vergewaltigt und halbtot geprügelt. Patricks Lage weckt Kates Mitgefühl. Entschlossen, den Mörder schnell zu finden lässt sie sie sich auf eine Zusammenarbeit mit dem Mann ein, der eigentlich ihr Gegner sein müsste. Doch als sie das Netz um den Täter enger ziehen, zeigt sich, dass sie unterschiedliche Ziele haben: Kate will den Killer festnehmen – Patrick will ihn selbst zur Rechenschaft ziehen, so langsam und schmerzhaft, wie es nur geht …
»Martina Cole ist die Königin des harten Frauenthrillers.« Sunday Express
Fesselnde Spannung der britischen Bestsellerautorin, die Fans von Sandra Brown, Lisa Jackson und Louise Jensen begeistern wird.
»Ich konnte diesen fesselnden, einmaligen Thriller nicht aus der Hand legen.« Amazon-Leserin
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Über dieses Buch:
Auch ein Gangster hat einen wunden Punkt – und ist gnadenlos, wenn die, die ihm am nächsten stehen, angegriffen werden … Das wird Polizistin Kate Burrows klar, als sie den Unterweltboss Patrick Kelly befragt. Nicht als Täter, sondern als den Angehörigen eines Opfers: Denn seine über alles geliebte Tochter wurde von einem eiskalten Serienkiller vergewaltigt und halbtot geprügelt. Patricks Lage weckt Kates Mitgefühl. Entschlossen, den Mörder schnell zu finden lässt sie sie sich auf eine Zusammenarbeit mit dem Mann ein, der eigentlich ihr Gegner sein müsste. Doch als sie das Netz um den Täter enger ziehen, zeigt sich, dass sie unterschiedliche Ziele haben: Kate will den Killer festnehmen – Patrick will ihn selbst zur Rechenschaft ziehen, so langsam und schmerzhaft, wie es nur geht …
Über die Autorin:
Martina Cole ist eine britische Spannungs-Bestsellerautorin, die bekannt für ihren knallharten, kompromisslosen und eindringlichen Schreibstil ist. Ihre Bücher wurden für Fernsehen und Theater adaptiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Martina Cole hält regelmäßig Kurse für kreatives Schreiben in britischen Gefängnissen ab. Sie ist Schirmherrin der Wohltätigkeitsorganisation »Gingerbread« für Alleinerziehende und von »Women's Aid«.
Die Website der Autorin: martinacole.co.uk/
Die Autorin bei Facebook: facebook.com/OfficialMartinaCole/
Bei dotbooks veröffentlichte Martina Cole ihre Thriller »Die Gefangene«, »Die Tochter«, »Kidnapped«, »Perfect Family«, »The Runaway« sowie die Spannungsromane »Eine irische Familie«, »Die Ehre der Familie«, und »Die Abgründe einer Familie«.
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eBook-Neuausgabe Januar 2025
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1993 unter dem Originaltitel »The Ladykiller« bei Headline Book Publishing PLC, London.
Copyright © der englischen Originalausgabe 1993 by Martina Cole
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2008 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von © Aperture Eleven/Adobe Stock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)
ISBN 978-3-98952-643-3
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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an info@dotbooks.de.
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Martina Cole
Die Tochter
Thriller
Aus dem Englischen von Jens Plassmann
dotbooks.
Widmung
Ich widme dieses Buch Les und Christopher
Bedanken möchte ich mich bei meinem Agenten Darley Anderson für seinen Glauben, sein Vertrauen und vor allem für seine Freundschaft.
Vielen Dank an Sergeant Steven Bolger vom Windmere Police Department, Florida, für all seine Hilfe während meiner Recherche für dieses Buch.
Ein kleines Dankeschön auch an Julie für das Tippen und Tippen und Tippen.
Und ein ganz besonderer Dank an meinen Mann und meinen Sohn, die schon wissen wofür.
Buch eins
»Von all dem Leid, der Mühsel’ge erfährt,
Keins bittrer trifft denn höhn’scher Spott;
Nie das Schicksal hohen Herzen Wunden reißt,
So tief wie des Toren vergifteter Pfeil.«
– Samuel Johnson, 1709–84
»Ich habe dich geprüft im Glutofen des Elends.«
– Jesaja 48, 10
»Blut ist obligatorisch – immer fließt Blut, Sie verstehen.«
– Tom Stoppard, Rosenkranz und Güldenstern
Prolog
»Alles, worum ich dich gebeten hatte, war, deine matschigen Schuhe auszuziehen. Herrgott noch mal, George, bist du schwer von Begriff oder was? Kapierst du nicht mal die einfachsten Dinge?«
Elaine Markham sah in das ausdruckslose Gesicht ihres Mannes und bezwang den Drang, ihm ihre Faust hineinzuschlagen. Unwillkürlich biss sie die Zähne zusammen und unternahm einen konzentrierten Versuch, sich zu entspannen. Erneut wanderte ihr Blick zu der feuchten Erde, die überall auf dem Küchenboden verschmiert war.
Mit einem tiefen Seufzer holte sie den Scheuerlappen unter der Spüle hervor, knallte die Tür des Küchenschranks zu und füllte einen Plastikeimer mit Wasser. George Markham beobachtete, wie seine Frau ein paar Spritzer Domestos ins Wasser gab. Dann ließ er sich auf einem der Küchenstühle nieder und begann seine Gartenschuhe auszuziehen, wobei er sorgsam darauf achtete, den Boden nicht noch mehr zu beschmutzen.
Elaine drehte sich mit dem Wassereimer in der Hand um und kreischte ihn an: »Kannst du das nicht über einem Blatt Zeitungspapier machen? Bist du so blöd, dass du nicht einmal an so etwas Simples denken kannst?«
George starrte seine Frau einige Sekunden lang an und kaute auf seiner Unterlippe.
»Es tut mir leid, Elaine.« Seine Stimme war leise und verunsichert. Ihr Klang ließ seine Frau die Augen zusammenkneifen.
George streifte seine Schuhe ab, ging zur Küchentür und stellte sie nach draußen. Vorsichtig schloss er die Tür und wandte sich zu seiner Frau.
»Gib schon her, Elaine. Ich mach die Sauerei selbst weg.« Er lächelte sie traurig an und rief damit ein Schnaufen hervor. Verärgert schüttelte sie den Kopf.
»Nein. Du machst es nur noch schlimmer. Mein Gott, George, kein Wunder, dass du auf der Arbeit nicht weiterkommst. Fällt einem ja schon schwer zu verstehen, warum sie dich überhaupt jeden Tag hinkommen lassen.« Sie stellte den Eimer mit dem dampfenden Wasser auf den Boden und kniete sich nieder. Während sie anfing, den Boden zu schrubben, schimpfte sie weiter.
»Ehrlich, du schaffst es wirklich, einen zur Weißglut zu bringen. Nichts kannst du anpacken ... überhaupt nichts ..., ohne es irgendwie zu vermasseln. Erinnere dich nur an letzte Woche ...«
George beobachtete, wie die üppigen Pobacken seiner Frau sich unter ihrem Kittel bewegten, während sie arbeitete und redete. Die Fettrollen an ihren Hüften schwabbelten bedenklich, als sie den Boden schrubbte. Vor seinem geistigen Auge sah er sich von seinem Stuhl aufstehen und sie mit aller Kraft in den Hintern treten, sodass sie mitsamt ihrem Wassereimer durch die Küche flog. Die Vorstellung brachte ein Grinsen auf seine Lippen.
»Was grinst du denn so?« Es fiel ihm schwer, in die Wirklichkeit zurückzukehren und sich auf Elaines Gesicht zu konzentrieren. Sie starrte ihn über ihre Schulter hinweg an. Ihr knallgrüner Lidschatten und die rubinroten Lippen leuchteten grell im Licht der Neonröhre.
»Nichts ... nichts, Liebling.« Er klang verlegen.
»Ach, hau einfach ab, George. Geh mir aus den Augen.«
Er starrte weiter seine Frau an, ihre starken Arme und Hände, die den Putzlappen auswrangen, ihre Finger, die zudrückten, bis der letzte Tropfen Wasser entwichen war. Er wünschte sich, es wäre Elaines Hals, den er so zudrückte. Stattdessen wandte er sich zur Hintertür.
»Wohin gehst du denn jetzt?« Ihre Stimme war hoch und gereizt.
George blickte sie an.
»Ich muss noch ein paar Dinge im Schuppen erledigen.«
Elaine drehte ihre Augen zur Decke.
»Prima, und warum um alles in der Welt bist du dann überhaupt schon reingekommen, verdreckst hier den Boden und richtest so ein Chaos an?« Sie breitete ihre Arme zu einer fragenden Geste aus.
»Ich wollte nur eine Tasse Tee. Aber ich seh ja, dass du beschäftigt bist ...«
Hastig stürzte er aus der Küche und zog sich draußen vor der Hintertür wieder seine Gartenschuhe an. Elaine starrte ein paar Sekunden lang die geschlossene Tür an. Wie immer, nachdem sie sich George ›vorgeknöpft hatte‹ – wie sie es insgeheim nannte –, fühlte sie sich schuldig. Schuldig und erschöpft. Er war einfach zu nichts zu gebrauchen. Sein träges Einverständnis mit der Art und Weise, wie sie lebten, machte sie nach all den Jahren wahnsinnig. Seufzend fuhr sie damit fort, den Boden zu wischen.
Im Schuppen verriegelte George die hölzerne Tür und lehnte sich für einen Moment dagegen. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er schloss die Augen, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und atmete tief durch.
Eines Tages würde Elaine einen Schlaganfall bekommen. Sie würde ihren Mund einmal zu oft aufreißen. Er konnte spüren, wie sein Herz gegen die Rippen hämmerte, und legte seine Hand darüber, als wollte er es damit beschwichtigen.
Er ging zur gegenüberliegenden Seite der Hütte, nahm einen Stapel Gartenmagazine von einem ausrangierten Schulpult und klappte dessen Deckel hoch. Im Innern des Pults lagen ein paar schmuddelige Pullover – seine Gartenpullover. Mit einem Lächeln zog er sie heraus. Darunter kamen seine Hefte zum Vorschein. Seine richtigen Hefte, mit richtigen Frauen darin. Frauen, die nicht herumnörgelten, schimpften und Forderungen stellten. Frauen, die einfach ruhig dalagen und lächelten. Was auch immer man mit ihnen anstellte.
Er nahm das oberste Heft in die Hand. Das Titelbild zeigte eine Frau von etwa zwanzig Jahren. Ihre Arme waren hinter dem Rücken zusammengebunden, und um ihren Hals schlang sich ein Lederband. Die langen blonden Haare hingen ihr über die Schultern und verdeckten teilweise ihre Brüste. Die behaarte Hand eines Mannes riss ihren Kopf nach hinten und brachte die lieblichen Locken mit männlichem Griff in Unordnung. Sie lächelte.
George betrachtete eine Weile das Bild. Er lächelte schwach, und seine kleinen, ebenmäßigen Zähne wurden sichtbar. Während er auf seinem Sessel Platz nahm, fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. Bedächtig, als wäre es das erste Mal, schlug er das Heft auf. Er wollte jedes Bild in Ruhe genießen.
Er blickte das Mädchen vor ihm an. Diesmal war es ein anderes Mädchen, orientalisch aussehend, mit winzigen spitzen Brüsten und dichtem schwarzem Haar. Sie kniete auf allen vieren. Das Lederband um ihren Hals war mit ihren Füßen verbunden. Man konnte erkennen, dass sie sich erwürgen würde, sobald sie sich gegen die Fessel wehrte. Hinter ihr befand sich ein Mann. Er trug eine schwarze Ledermaske und stand kurz davor, seinen erigierten Penis in den Anus des Mädchens zu schieben. Ihr Rücken war gewölbt und sie sah direkt in die Kamera. Ein glückseliges Lächeln lag auf ihrem Gesicht.
George seufzte vor Zufriedenheit. Langsam durchblätterte er das Magazin. Hier und da hielt er inne und streckte das Heft etwas von sich, um die Bilder aus einem anderen Winkel zu betrachten. Er spürte das vertraute Gefühl der Erregung in sich aufsteigen. Seine Hand schob sich in die Polsterfalte des Sessels. Einen Moment tastete er dort herum, dann fand er das Armeemesser, nach dem er gesucht hatte. Sorgfältig breitete er das Magazin über seinen Knien aus, dann ließ er das Messer aus der Scheide gleiten. Es war ein großes Messer mit einer achtzehn Zentimeter langen, gezackten Klinge. Er drehte das Messer in dem Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel, und bewunderte sein Funkeln. Dann sank sein Blick auf das Mädchen, dessen Bild die Mittelseiten des Magazins füllte. Mit einer Mischung aus Leiden und Verzückung sah sie zu ihm auf, während ein Kapuzenmann in ihr Gesicht ejakulierte und der Samen an ihrem Kinn hinunter bis auf die Brüste lief.
Gewissenhaft und präzise begann George sie zu zerstückeln. Er zog das Messer über ihren Hals und schlitzte dabei das Papier auf. Danach ritzte er an ihren Brüsten und an ihrer Vagina. Die gesamte Zeit über blickte sie ihn an. Lächelte ihn an. Ermunterte ihn. Er spürte, wie seine Erektion wuchs, spürte den kalten Schweiß unter seinen Armen und auf seinem Rücken und fing an, auf das Heft einzustechen, das Messer in das Papier zu rammen. Es rauschte in seinen Ohren, als würde er unter Wasser schwimmen, und schließlich steigerte sich das Rauschen zum Crescendo, und die schwungvollen, beinahe ekstatischen Wellen des Orgasmus erfassten ihn.
Zurückgelehnt hing George in seinem alten bequemen Sessel und atmete in keuchenden, kleinen Schüben. Langsam beruhigte sich sein Herzschlag wieder. Er schloss seine Augen. Nach und nach nahm er die alltäglichen Geräusche und Ereignisse um sich herum wieder wahr.
Er hörte den Rasentrimmer seines Nachbarn neben seinem Schuppen und die Geräusche der Kinder, die nebenan in ihrem Planschbecken spielten. Ihr piepsiges Babylachen drang in sein Bewusstsein. Eine salzige Schweißperle tropfte in sein Auge, und er blinzelte sie fort. Bedächtig schüttelte er seinen Kopf und sah in seinen Schoß hinunter. Da bemerkte er das Blut.
Einige Sekunden lang blinzelte er hektisch. Das Mädchen war blutüberströmt. Der Körper, den er zerstückelt hatte, färbte sich langsam purpurrot. George starrte gebannt auf das Heft.
Dann schob er das Magazin von sich fort, und all seine Nerven vibrierten vor Schock.
Er hatte sich selbst aufgeschlitzt! Er sah auf den Schnitt in seinem Oberschenkel hinunter. Blut quoll daraus in alle Richtungen. In seiner Panik sprang er vom Sessel auf. Das Messer hatte seine Jeans zerschnitten und war in sein eigenes Fleisch gedrungen!
Er musste es Elaine erzählen. Sie musste ihn ins Krankenhaus bringen. In blindem Entsetzen humpelte er zur Schuppentür.
Dann erinnerte er sich an die Hefte.
Während er mit einer Hand das verletzte Bein umklammerte, sammelte er die Magazine vom Boden auf. Zusammen mit den anderen stopfte er sie in das Kinderpult, quetschte die Pullover darüber und schloss den Deckel. Inzwischen konnte er fühlen, wie das Blut sein Bein hinablief.
Er hob den Stapel Gartenzeitschriften auf und warf ihn auf die Platte des Pults. Jetzt war überall Blut.
Sobald er den Riegel an der Oberkante der Schuppentür zurückgeschoben hatte, stolperte er ins Sonnenlicht hinaus. Das Planschen und Kreischen, das über den blickdichten Lärchenzaun drang, bohrte sich in seine Ohren. George rannte den Weg zur Hintertür hinauf und riss sie auf.
Elaine bereitete gerade das Gemüse für das Abendessen zu. Erschrocken drehte sie sich zu ihm um. Blutüberströmt stand er vor ihr.
»Ich ... ich hab mich geschnitten, Elaine.« Er weinte fast.
»Oh mein Gott, George!« Sie packte ein Geschirrtuch, schlang es um sein Bein und zog es fest. »Komm rasch. Ich fahr dich ins Krankenhaus.«
George lag in einer Behandlungskabine der Notaufnahme des Grantley Hospital. Ihm war schlecht. Eine junge Krankenschwester versuchte ihm die Hose auszuziehen.
»Bitte, Mr Markham. Ich muss sie ausziehen.« Ihre Stimme klang jung und rauchig.
»Nein! Nein, das dürfen Sie nicht. Schneiden Sie das Hosenbein ab oder so etwas.«
George und die Krankenschwester blickten einander an. Dann sahen beide zum Vorhang, der zurückgezogen wurde. Die junge Krankenschwester atmete erleichtert auf. Es war der Stationsleiter Joey Denellan.
»Was gibt’s denn, Schwester?« In seiner Stimme lag jene gekünstelte Heiterkeit, die für männliche Krankenpfleger so typisch ist.
»Mr Markham lässt mich nicht seine Hose entfernen.«
Der Mann lächelte George an. »Na, wir sind wohl einer von den Schüchternen, wie? Also gut, kein Problem. Ich werde das für Sie übernehmen.«
Die Krankenschwester ging, und bevor George protestieren konnte, hatte der junge Mann ihm die Jeans heruntergezogen. George versuchte noch, den Hosenbund zu packen, aber der Pfleger war zu stark. Die Jeans waren weg.
George schluckte schwer und wandte seinen Kopf vom Gesicht des jungen Mannes ab.
Joey Denellan betrachtete das verletzte Bein mit erfahrenem Auge. Ein tiefer Schnitt, der aber keine wichtige Arterie getroffen hatte. Sein Blick huschte über den Mann vor ihm und blieb dann abrupt hängen. Kein Wunder, dass der alte Junge sich so gesträubt hat, als Jenny ihm die Hose ausziehen wollte. Die Flecken waren ganz frisch und noch feucht. Was hatte er bloß getrieben, wobei er sich solch einen klaffenden Schnitt ins Bein zugezogen hatte? Joey zuckte mit den Achseln. Ihr Job war es nicht, nach den Gründen zu fragen.
»Mit was für einem Messer ist das passiert?« Joey war bemüht, den lockeren Ton in seiner Stimme beizubehalten.
»Oh, ein Schweizer Armeemesser.« George sprach leise, und der junge Mann empfand Mitleid mit ihm.
»Tja, ein paar Stiche werden wir da schon brauchen, aber machen Sie sich keine Sorgen, etwas Wichtiges haben Sie nicht durchtrennt. Möchten Sie, dass ich mal nachsehe, ob ich eine saubere Hose für Sie auftreiben kann?«
George bemerkte den »Von-Mann-zu-Mann«-Unterton in der Stimme des anderen. Er nickte. »Bitte. Ich ...«
»Alles Klärchen, bin sofort wieder zurück. Der Arzt wird auch gleich kommen, okay?«
»Danke. Ich danke Ihnen vielmals. Wären Sie so nett, äh ... meine Frau nicht hereinkommen zu lassen, bitte?«
Georges Augen flehten ihn an, und Joey nickte langsam.
»Okay. Keine Sorge.« Er verließ die Behandlungskabine und ging in den Empfangsbereich.
»Mrs Markham?« Er sah sich unter den Anwesenden um und war nicht überrascht, als die dicke Frau mit den gefärbten roten Haaren und dem knallgrünen Trainingsanzug aufstand und auf ihn zukam. Irgendwie hatte er gewusst, dass dies die Frau des armen Kerls sein musste.
»Ist er in Ordnung? Mein Gott, so etwas kann nur George passieren, sich zu schneiden, während er in einem dämlichen Gartenschuppen hockt. Ehrlich, Herr Doktor ...«
»Pfleger. Ich bin Krankenpfleger.«
Sobald Elaine anhob weiterzusprechen, unterbrach er sie.
»Wir werden Ihren Mann nähen, sobald der Arzt sich ihn angesehen hat. Vielleicht möchten Sie sich ja einen Kaffee oder sonst irgendwas besorgen. Am Ende dieses Gangs gibt es einen Automaten.« Er deutete auf die Schwingtüren zu seiner Rechten.
Elaine spürte, wenn man sie zum Schweigen bringen wollte, und ihre Augen nahmen jenen stählernen Glanz an, der sonst nur George vorbehalten blieb. Sie wandte sich ab, stapfte zu den Schwingtüren und stieß diese mit solcher Gewalt auf, dass sie gegen die Wände krachten.
Joey Denellan sah ihr nach. Kein Wunder, dass das arme Schwein einen derart geknechteten Eindruck machte. Eine Ehe mit ihr musste sein, als wäre man mit Attila dem Hunnen verheiratet. Dennoch stand Joey vor einem Rätsel. Wie war der alte Kerl bloß zu diesem Schnitt in seinem Bein gekommen? Was hatte sie gesagt? In einem Gartenschuppen. Wie erklärte das die Spermaspuren, die sich zweifelsfrei auf seiner Unterhose befanden? Er hörte, wie jemand ihn rief.
»Joey, Verkehrsunfall auf der M25.«
»Wie viele Verletzte?« Er trat an den Empfangsschalter.
»Vier. Ankunft voraussichtlich in sieben Minuten.«
»Okay. Unfallteam zusammenrufen.«
Joey begann Vorbereitungen für die Aufnahme der Unfallopfer zu treffen. George Markham wurde aus seinem Bewusstsein verdrängt.
»Kommst du mit, George?« Die tiefe, dröhnende Stimme von Peter Renshaw schien von den Wänden des Büros abzuprallen und George ins Gesicht zu schlagen.
»Wohin mit?« Er blickte Renshaw an.
»Eine Sause machen, Georgie. Die mordsmäßige Abschiedssause ... für Jonesy.«
»Ach ja. Jonesys Abschiedssause. Sicher, sicher. Ja, ich komme mit.«
»Braver Junge. Hab für ihn einen Stripperdienst bestellt. Mit allem Drum und Dran! Ich sag dir, Georgie, es wird eine irre Abschiedssause. Mords-mä-ßig geil!«
Peter Renshaw hatte die Angewohnheit, manche Wörter zu zerhacken, um sie zu betonen und so seinen Aussagen größeren Nachdruck zu verleihen. George konnte das nicht ausstehen.
Renshaw war Verkäufer in der Textilfirma, für die auch George arbeitete. Er überragte George an Körpergröße, eine Tatsache, die ihm offensichtlich Vergnügen bereitete. Peter Renshaw war Anfang dreißig und verdiente nach allgemeiner Einschätzung eine Menge Geld. Er galt als erfolgreichster Verkäufer im Haus. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund mochte er George und stellte stets sicher, dass auch dieser zu allen Abschiedsfeiern eingeladen war, die so auf dem Plan standen.
»Hab die Stripperinnen selbst ausgesucht, Georgieboy. Die größten Titten diesseits des Kanals. Kann’s kaum erwarten, das Gesicht von Old Jonesy zu sehen.«
George lächelte.
Old Jonesy ... Howard Jones war jünger als George selbst. Howard Jones mochte vielleicht fünfundvierzig sein. George war einundfünfzig. Es schüttelte ihn innerlich. Einundfünfzig. Sein Leben war fast vorbei. Peter Renshaws Stimme dröhnte weiter.
»Ist alles arrangiert. Zuerst ins Pig and Whistle. Zwanzig Kröten von je-dem in den Topf übrigens. Dann in diesen neuen Nightclub – wie heißt er noch? The Platinum Blonde, das war’s. Mal sehen, was die Täubchen dort so alles auf dem Kas-ten haben. Das wird eine Gaudi!«
George lächelte beharrlich.
»Tja, dann werd ich dich mal weitermachen lassen. Hab unten in der Rechnungsabteilung ein heißes Schneckchen sitzen, das ums Ver-recken nicht genug kriegen kann. Also dann, bis Freitag?«
George nickte. »Ja. Bis Freitag, Peter.«
Er verfolgte, wie der Mann sein Büro verließ. Old Jonesy ... Vermutlich nannten sie ihn Old Markham. Er sah auf seine Uhr. Es war fünf nach halb sechs. Er stand von seinem Stuhl auf, streifte sein Sakko über und machte sich auf in Richtung Ausgang.
Kortone Separates war trotz der Wirtschaftskrise ein gut gehendes Unternehmen. George arbeitete in der Buchhaltung der Rechnungsabteilung.
Er bog von dem schmalen Flur ab und ging zum Treppenhaus, das hinunter auf den Firmenparkplatz führte. Die Fahrstühle benutzte er nie. Auf dem Weg nach unten sah er Miss Pearson, die auf dem Boden kniete und ein paar Unterlagen aufhob. Sie war jung, allenfalls achtzehn, und erst seit einem Jahr bei Kortone. George hatte noch nie mit ihr gesprochen. Drei Knöpfe an ihrer Bluse standen offen, und vom Treppenabsatz über ihr konnte George die Wölbungen ihrer Brüste erkennen, während sie die Arme ausstreckte, um die Blätter einzusammeln.
Er starrte zu ihr hinunter. Das cremefarbene Fleisch wirkte fest und einladend. Das Mädchen sah zu ihm hinauf. Er sah ihr stark geschminktes Gesicht und zwang sich, weiter die Treppe hinabzusteigen. Dann bückte er sich, hob einige der Papiere auf und reichte sie ihr stumm.
»Danke, Mr Markham.«
Sie kannte seinen Namen! George durchströmte eine enorme Freude angesichts dieser banalen Tatsache.
»Gern geschehen.« Er stand auf und sah noch einmal auf sie hinab. In diesem Moment öffnete sich oben die Tür, und Peter Renshaws Stimme dröhnte zu ihnen herunter.
»Da bist du ja! Ich such schon überall nach dir. Du gerissener alter Fuchs, George. Hätte mir ja denken können, dass du da steckst, wo die hübschen Mädchen sind!«
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Neuausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2025
- ISBN (eBook)
- 9783989526433
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2025 (Januar)
- Schlagworte
- Spannung Thriller England-Thriller Mafia-Roman Serienkiller-Spannung Sandra Brown Louise Jensen J.D. Robb Lisa Jackson eBook