Die Toten von Bath
Drei Krimis in einem eBook: »Der Klage dunkles Lied«, »Des Todes heller Klang« und »Des Grabes stumme Melodie«
Zusammenfassung
Drei eiskalte Verbrechen – ein außergewöhnliches Ermittlerduo … Erhaben thront der englische Kurort Bath in den Hügeln von Somerset, doch hinter der perfekten Fassade drängen dunkle Geheimnisse ans Tageslicht. Ein Leichenfund in den alten römischen Bädern erschüttert die ganze Stadt – wer hat den angesehenen Museumsdirektor auf so kaltblütige Weise hingerichtet? Der junge Detective Inspector Andrew Poole ahnt, dass dieses Verbrechen weite Kreise zieht und beginnt unter Hochdruck zu ermitteln. An seiner Seite die Cellistin Sarah Selkirk, die als erste am Tatort war. Doch kann es wirklich Zufall sein, dass ihr der Tod von nun an überallhin zu folgen scheint? Immer tiefer verstricken sich der Inspector und Sarah in einen Sumpf aus Lügen und Intrigen, der schon bald weitere Opfer fordert …
»Ein aufregendes neues Talent unter den britischen Krimiautorinnen! Außergewöhnliche Atmosphäre, tolle Charaktere und ein eleganter Plot«, empfiehlt Bestsellerautorin P. D. James
Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das Spannungs-Highlight »Die Toten von Bath« von Morag Joss vereint die Kriminalfälle rund um Detective Inspector Andrew Poole und Sarah Selkirk mit »Der Klage dunkles Lied«, »Des Todes heller Klang« und »Des Grabes stumme Melodie«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Über dieses Buch:
Drei eiskalte Verbrechen – ein außergewöhnliches Ermittlerduo… Erhaben thront der englische Kurort Bath in den Hügeln von Somerset, doch hinter der perfekten Fassade drängen dunkle Geheimnisse ans Tageslicht. Ein Leichenfund in den alten römischen Bädern erschüttert die ganze Stadt – wer hat den angesehenen Museumsdirektor auf so kaltblütige Weise hingerichtet? Der junge Detective Inspector Andrew Poole ahnt, dass dieses Verbrechen weite Kreise zieht und beginnt unter Hochdruck zu ermitteln. An seiner Seite die Cellistin Sarah Selkirk, die als erste am Tatort war. Doch kann es wirklich Zufall sein, dass ihr der Tod von nun an überallhin zu folgen scheint? Immer tiefer verstricken sich der Inspector und Sarah in einen Sumpf aus Lügen und Intrigen, der schon bald weitere Opfer fordert…
»Ein aufregendes neues Talent unter den britischen Krimiautorinnen! Außergewöhnliche Atmosphäre, tolle Charaktere und ein eleganter Plot«, empfiehlt Bestsellerautorin P. D. James
Über die Autorin:
Morag Joss wuchs an der Westküste Schottlands auf und studierte an der Londoner Guildhall School of Music. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter als freie Schriftstellerin in der Nähe von Bath im Süden Englands. Dieser mondäne Kurort ist auch Schauplatz ihrer Kriminalromane. Für ihren brillanten Spannungsroman »Des Hauses Hüterin« erhielt sie den Silver Dagger Award der Crime Writers' Association.
Die Website der Autorin: moragjoss.com
Morag Joss veröffentlichte bei dotbooks auch ihren preisgekrönten psychologischen Spannungsroman »Des Hauses Hüterin«.
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Sammelband-Originalausgabe August 2022
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-98690-098-4
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Morag Joss
Die Toten von Bath
Drei Kriminalromane in einem eBook
Aus dem Englischen von Ursula Bischoff
dotbooks.
Der Klage dunkles Lied
Kriminalroman
Vorwort
Bath ist für seinen mehr als gerechten Anteil an hervorragend erhaltenen und gut proportionierten Bürgern bekannt, die über eine optisch gefällige Front und klassische Merkmale verfügen. Aber sie kommen in diesem Buch nicht vor. Personen und Ereignisse sind reine Fiktion, während sich die Beschreibung der Kulisse überwiegend an der Realität ausrichtet.
Bei der Beschreibung der Sehenswürdigkeiten in Bath habe ich mich um Genauigkeit und Authentizität bei der Schilderung der historischen und architektonischen Einzelheiten bemüht. Doch mangels prophetischer Weitsicht haben weder die Römer noch spätere Baumeister ihre Monumente mit Blick auf Mordfälle und ihren technischen Ablauf, die Verschleierungstaktiken der Täter oder die Ermittlungen der Polizei errichtet; deshalb habe ich mir die Freiheit genommen, das eine oder andere Interieur einschließlich Geheimkabinett, Korridore und Hintertüren in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen meiner Romanfiguren zu verändern, was sie mir hoffentlich zu danken wissen. Ich gestehe, daß ich weder um eine Umbaugenehmigung nachgesucht noch selbige erhalten habe, aber mir wurde versichert, daß fiktive Veränderungen (noch) nicht in die Zuständigkeit der Baubehörden von Bath fallen.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei Margaret Campbell für die Informationen und Hinweise bedanken, die ich in ihrem Buch The Great Cellist gefunden habe. Mein Dank gilt auch dem aufgeschlossenen »Head of Heritage Services« in Bath, der sich bester Gesundheit erfreut und eifrig mit Denkmalpflege befaßt ist, und dem District Commander der Polizei von Bath, dessen Obhut ich wegen seiner Herzlichkeit wärmstens empfehlen kann. Fehler, die mir bei der Beschreibung von Musikinstrumenten, Cellisten, Thermalbädern, polizeilichen Maßnahmen oder anderweitig unterlaufen sein könnten, gehen natürlich ausschließlich auf mein Konto.
Morag Joss
Prolog
Es war beängstigend: Wasser, nichts als Wasser, so weit das Auge reichte. Er war nicht an so viel Wasser gewöhnt. Seine Vorfahren hatten im Landesinneren unweit eines breiten, flachen Flusses gelebt, der nur kurze Zeit eine spiegelglatte Oberfläche besaß; für den Rest des Jahres war er so trocken, daß beim Durchqueren Staub an seinen Füßen haftete. Die Wassermassen hätten ihm nicht solche Angst eingejagt, wenn er nicht so tief unten gewesen wäre, mutterseelenallein und in vollständiger Dunkelheit, aus der ein metallisch-dumpfes Dröhnen und Hämmern ertönte, als würde das Schiff mit anderen Schiffen zusammenstoßen, Lattenkisten und Container sich aus ihren Halterungen lösen oder rings um ihn herum explodieren. Sich an das Wissen klammernd, daß sich gegen diese Todesangst keine Abhilfe schaffen ließ, es sei denn, er nähme die Entdeckung seiner Anwesenheit in Kauf, verdrängte er die Schreckensvision einer Kollision mit den gezackten, salzverkrusteten Klippen im Atlantik, die sich in die stählerne Hülle des Schiffes bohrten, und die weißen Gischtfontänen, die wie die Pfeile eines steinernen Bogens in die Höhe schnellten, während sich das Schiff den Weg zwischen den grünen, vom Wasser glattgeschliffenen Gesteinsbrocken hindurch bahnte.
Er schloß die Augen, aber die Finsternis hinter seinen Lidern erwies sich als gleichermaßen trostlos. Aus einem verborgenen Winkel seines Gedächtnisses holte er wieder seine Angst vor Entdeckung hervor und öffnete die Büchse der Pandora. Sofort stiegen erneut qualvolle Gewißheiten in ihm hoch: die drohende Festnahme, bei der man nicht zimperlich mit ihm umgehen würde, das Konfiszieren seiner Barschaft, eine Maßnahme, die auf unverhohlenen Diebstahl hinauslief, das Verhör, Schläge, schlimmstenfalls sogar Folter, unter Umständen eine Gerichtsverhandlung und mit Sicherheit die Rückkehr ins Gefängnis. Das Tosen des Meeres schien manchmal nahe, dann wieder weit entfernt, wie das Zuschlagen von Zellentüren in den Gefängnisgängen, stets von der unmittelbarsten täglichen Schmach begleitet, dem Zuschlagen der eigenen Tür und dem Kratzen, wenn der Riegel vorgeschoben wurde. Gleich zu Beginn seines Aufenthalts hatte er dort noch größere Erniedrigungen kennengelernt, angefangen in der Nacht, als er auf das Zuschlagen der Tür wartend eine dunkle, massige Gestalt auf der Schwelle erspäht hatte, einen der Wärter, der sich grinsend den Schritt gerieben hatte, bevor er in die Zelle kam und die Tür schloß. Die Vorstellung, ein paar Nächte unter der Oberfläche des Meeres zu verbringen, verlor ihren Schrecken. Diese Nacht würde vorübergehen, genau wie andere Nächte. Majmout hatte genug Geld erhalten, um ihn ausreichend mit Essen zu versorgen und ihn zu verstecken, und Majmout hatte gesagt, daß er sich bei Tageslicht auf dem Schiff frei bewegen dürfe, solange er nicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken und sich nur dort aufhalten würde, wo Majmout es für sicher hielt. Er hatte gesagt, von den anderen Matrosen habe er nichts zu befürchten; viele brachten von Zeit zu Zeit einen blinden Passagier an Bord, entweder gegen Bezahlung oder um Familienangehörigen zu helfen. Es bestand kein Grund zur Sorge, alles würde gutgehen, auch in dieser ersten Nacht. Die kommenden Stunden konnten nichts bringen, was so unerträglich war wie der Gedanke an einen erneuten jahrelangen Aufenthalt im Gefängnis!
Er lauschte dem Summen des nahegelegenen Schiffsmotors und atmete den betäubenden Geruch von Öl und Metall ein, den er, selber kein Seemann, als Probe seiner Seetauglichkeit empfand. Er verkroch sich tiefer im schützenden Kokon der staubigen Säcke und spürte das Gewicht, das auf ihm lastete. Die Kälte des Bodens drang in seine Schultern ein, breitete sich in seinem Rücken aus, und obwohl seine Glieder eiskalt und steif waren,. brannte sein Gesicht wie Feuer. Er hatte den ganzen Tag keinen Hunger verspürt, aber er kam fast um vor Durst. Die Angst zu verdursten durchzuckte ihn und nistete sich neben anderen Fieberphantasien in seinem Kopf ein, der Furcht vor Entdeckung oder vor dem Meer, das groß und schwarz wie ein Büffel in das Schiff eindrang. Und eine weitere Angst gesellte sich hinzu: Falls Majmout ahnte, wieviel Geld er bei sich hatte und wie leicht er dieses in seinen Besitz bringen könnte, würde er ihn möglicherweise über Bord werfen. Er mußte seinen Geldbeutel ständig am Körper tragen und darauf achten, daß Majmout keine Gelegenheit erhielt, zu sehen, was sich darin befand. Für die Dauer der Überfahrt würde er seine ganze Schlauheit und Stärke brauchen. Jetzt galt es zunächst, Kräfte zu sammeln, sich auszuruhen, und wenn er die Augen schloß, konnte er sich beinahe einreden, daß der morgige Tag besser als der heutige zu werden versprach, und wenn auch nur, weil er dem trockenen Land ein Stück näher kam. Aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen: Die ganze Nacht lang schnürte ihm das Anbranden des Ozeans gegen den Bug und seine Angst vor der riesigen, lauernden See den Atem ab, daß er meinte, ersticken zu müssen.
Kapitel 1
Sara holte tief Luft, zum einen vor Erschöpfung, und zum anderen, um ihre Verärgerung zu unterdrücken. Das Läuten des Telefons unterbrach den ersten Moment der Cooldown-Phase am Ende des Laufs, in der die Bewegungen langsam zum Stillstand kamen. Sie hoffte, daß es nicht Robin war, ihr Agent; sie war innerlich noch nicht bereit, das Kriegsbeil zu begraben, und fühlte sich schon im voraus frustriert. Ihre Beine zitterten, und das Wasser rann ihr noch aus allen Poren, als sie ranging. Der warme glatte Plastikhörer rutschte aus ihrer schweißnassen Hand, fiel zu Boden, sprang zurück, drehte sich um die eigene Achse und knallte gegen die Kommodenschublade. Wer immer am anderen Ende der Leitung sein mochte, würde annehmen, sie hätte das Telefon gegen die Wand gefeuert, so daß es sinnlos war, jetzt die Gelassene, Vernünftige zu mimen. Aber es war nicht ihr Agent, sondern James. Nicht weniger frustriert, bemühte sich Sara um einen lässigen Tonfall, was ihr schwerfiel, weil sie immer noch keuchte.
»Sara Selkirk. Ach du bist's! Was das war? Nichts. Mir ist nur der Hörer aus der Hand gefallen.« Sie streifte die Laufschuhe von den Füßen, ohne die Schnürsenkel aufzumachen. »Ich bin ein bißchen außer Atem, das ist alles. Hab gerade mein Lauftraining hinter mir.« Sie wischte sich mit der freien, feuchten Hand über Hals und Brust.
»Aha. Und wie kommst du voran? Alles in Ordnung?« fragte James. Den Hörer unters Kinn geklemmt, beugte sich Sara hinunter und pellte sich aus den schmutzigen Socken. Dann setzte sie sich mit ausgestreckten Beinen auf den Fußboden. »Alles bestens – bis auf ein paar Blutblasen.« Sie seufzte und begutachtete den Schaden an ihren Fußsohlen. »Aber ich trainiere morgen weiter. Es macht mir Spaß.«
James war fassungslos. »Jetzt mach aber mal einen Punkt, Schätzchen. Sport ist Mord! Bist du krank oder pervers?«
»Quatsch. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein tolles Gefühl das ist. Warte ab, irgendwann werde ich dich auch noch dazu bekehren. Also, wann proben wir? Nicht, daß ich besonders scharf darauf wäre.«
»Heute nachmittag um vier, im Pump Room. Sie schließen ihn früher als sonst, so daß wir reinkönnen. Wir müssen allerdings in Kauf nehmen, daß sie noch Tische und alles mögliche hin- und herräumen, aber wir werden es überleben«, sagte er. »Bist du wirklich ganz sicher, daß alles in Ordnung ist? Du klingst so seltsam.«
»Doch, doch, alles bestens«, erwiderte Sara und streckte ihre Füße. »Glaube ich zumindest.« Ihr Herz klopfte immer noch heftig, aber zumindest etwas langsamer. »Vier Uhr ist mir recht. Wenn's sein muß.« Im nächsten Moment bemerkte sie das verletzte Schweigen am anderen Ende der Leitung, und sie hätte sich ohrfeigen können, daß sie es vergessen hatte. »Es tut mir leid ...«
»Es muß sein, leider. Ich wäre auch lieber woanders, wie du dir vielleicht denken kannst. In St. Michael's auf dem Lansdown Hill, genauer gesagt. Aber wir haben zugesagt und stehen im Wort, und für dich ist es wichtig«, sagte James. »Es macht mir nichts aus, du gehst vor, aber –«
»O James, es tut mir leid, ehrlich. Ich habe die Trauerfeier für Graham völlig vergessen. Ich weiß, daß du teilnehmen wolltest. Und ich bin wirklich froh, daß wir im Pump Room auftreten. Es tut mir wirklich leid.«
»Schon gut«, erwiderte James müde und seufzte. »Tut mir auch leid. Es ist ärgerlich, aber schließlich ist es nicht deine Schuld, daß sich die beiden Termine überschneiden. Austin wird Verständnis dafür haben. Er konnte die Kirche an keinem anderen Tag bekommen.« Er seufzte erneut. »Es wird eine würdevolle Trauerfeier werden, mit mir oder ohne mich. Mein Gott, ist das alles schrecklich.«
»Du könntest ja ein Blumengebinde hinschicken.«
»Ja, vielleicht. Also, jetzt stich dir deine Blasen auf, oder tu, was immer dir Spaß macht. Bis später.«
Als sich Sara etwas später hinsetzte, um zu üben, fuhr ihr der Gedanke durch den Kopf, daß James sich wirklich beide Beine für sie ausriß. Nur wenige Tage, nachdem er sie zu der kleinen Vorstellung überredet und den Auftritt bestätigt hatte, war sein Freund Graham Xavier gestorben; die Trauerfeier sollte am Freitag, den 13. Juni, um neunzehn Uhr stattfinden. Austin, völlig ausgelaugt durch die monatelange Pflege, hatte hilflos mitansehen müssen, wie sein langjähriger Lebenspartner dahinsiechte, blind und ausgezehrt, aber zornig bis zum letzten Atemzug. Er hatte geduldig erklärt, der Termin sei nicht zuletzt deshalb ideal, weil er auch vielen Londoner Freunden die Möglichkeit bot, zur Trauerfeier nach Bath zu kommen, und außerdem sei es der einzige, den die Kirche im Moment frei habe. Sara erinnerte sich, wie ungehalten James gewesen war. Sie hatte ihm vorgeschlagen, das Konzert im Pump Room abzusagen und statt dessen bei der Trauerfeier für Graham zu spielen. Aber James hatte traurig erwidert, es sei besser, etwas für die Lebenden zu tun. Graham wäre in diesem Punkt gewiß seiner Meinung. Sie dachte schuldbewußt, daß sie James dankbar sein und sich an ihre guten Manieren erinnern sollte, die seit einiger Zeit brach lagen.
Während sie spielte, schweiften ihre Gedanken zu Graham und in die Vergangenheit zurück, wie so häufig, wenn sie allein war. Graham war mit James befreundet gewesen, aber er war ein Freund von vielen gewesen. Sein Tod war ein harter Schlag, wenn auch nicht so plötzlich und persönlich wie der Verlust, den sie selbst erlitten hatte. Unter dem sie immer noch litt, dachte sie dumpf. Voller Trauer, von aller Welt mißverstanden, und zutiefst verärgert. Die wenigen Menschen, die sie damals etwas besser gekannt und die geahnt hatten, warum sie ihre Karriere so plötzlich aufgegeben hatte, schienen jetzt darauf zu warten, daß sie endlich den Zustand der Lähmung überwand, den sie für zeitweilige Orientierungslosigkeit nach einem schweren Schock hielten. Es hätte nur noch gefehlt, daß sie unverblümt fragten: Wie lange dauert es eigentlich noch, bist du den Verlust überwunden hast? Denn genau das wollten sie im Grunde wissen. Vor allem Robin, der mit seinen Anfragen zunehmend deutlicher wurde: Wann wirst du in der Lage sein, darüber nachzudenken? Nicht jetzt, nicht jetzt, und schon gar nicht unter Druck. James vermied jede ungeschliffene, direkte Anspielung, aber obwohl sie sich alle paar Tage sahen, gab sogar er sich jetzt nicht mehr mit der Frage Wie geht's? zufrieden, sondern wollte wissen: Wie kommst du voran? Er besaß eine Engelsgeduld, aber vermutlich war auch die nicht unerschöpflich. Sie würde ihm ihre Dankbarkeit zeigen müssen. Robin allerdings sollte in seinem eigenen Saft schmoren!
Weil es nämlich ein Fehler wäre, um ihren ersten öffentlichen Auftritt seit mehr als einem Jahr einen solchen Wirbel zu veranstalten! Heute morgen, in aller Herrgottsfrühe, hatte sie bei dem Telefongespräch mit Robin die Beherrschung verloren, als er sich taub für die Tatsache stellte, daß es sich bei der »Aufführung« um weniger als eine halbe Stunde Spiel anläßlich einer Wohltätigkeitsveranstaltung handelte. »Was soll die Aufregung, Robin? Vergiß es!« hatte sie gesagt. »Ich spiele nur, weil James nicht lockergelassen hat. Nein, das bedeutet nicht, daß ich jetzt für ein richtiges Engagement gerüstet wäre. Ich bin noch nicht soweit. Ich habe mich breitschlagen lassen, aber nur dieses eine Mal.« Daraufhin war er ausfallend geworden und hatte erklärt, wenn das so sei, wäre es besser, wenn sie überhaupt nicht auftreten würde, und das rate er ihr nicht als Freund, sondern als Agent. Falls sie jetzt mittendrin das Handtuch werfe, käme das einer Katastrophe gleich. Sie hatte ihm dann kindischerweise, obwohl sie insgeheim seiner Meinung war, untersagt, zum Konzert zu kommen. »Das hatte ich ohnehin nicht vor«, hatte er erwidert. »Ich habe in London alle Hände voll zu tun. Es gibt noch andere Leute, die ich betreue, verstehst du, Künstler, denen etwas an einem öffentlichen Auftritt liegt. Die an ihrer Karriere interessiert sind.« Und sie hatte gekontert: »Ach, tatsächlich? Nun, dann mache ich dir einen Vorschlag, Robin, kurz und schmerzlos. Vergessen wir's, ein für allemal; das war's.« Und dann hatte sie, unverzeihlich, den Hörer aufgeknallt und war viereinhalb Kilometer in rasantem Tempo gelaufen, um Dampf abzulassen.
Sie kam zum Ende der Tonleiterübung und bemerkte plötzlich, während die Luft rundum von ihrem aggressiven Spiel vibrierte, daß sie den Bogen mit einer Wucht geführt hatte, als wolle sie Robin den Kopf absäbeln. Sie stand auf, legte das Cello auf die Seite und ging zur Verandatür hinüber, doch anstatt in den Garten hinauszutreten, drehte sie sich um und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sie liebte den nackten, ausgebleichten Holzboden und die Vorhänge aus weißem Musselin, die von den schwarzen Gardinenstangen hinunterhingen, direkt neben Matteos Bösendorfer-Konzertflügel aus Ebenholz, dem kleinen dunklen Stuhl und dem Notenständer, die sie auch benutzte. Aber es war immer Matteos Zimmer gewesen. Während der ersten Monate hatte sie den Raum gemieden, aber später stets frische Blumen aus dem Garten hineingestellt, eine willkommene Ausrede, ihn zu betreten. Als sie eines Tages eine Schnecke entdeckte, die eine widerliche Schleimspur auf dem Flügel hinterließ, kam ihr der Blumenschmuck plötzlich abgeschmackt vor, wie ein Totenschrein, den Matteo gehaßt hätte. Nun zwang sie sich, den Raum hin und wieder zu benutzen und ihn unverändert zu lassen. Nur sehr selten, wenn sie auf der Schwelle stand und die Hand hob, um die Tür zu öffnen, vermißte sie plötzlich die Geräusche, die auf einen bewohnten Raum hinwiesen, die Klavierklänge oder Matteos Stimme, die an ihr Ohr drangen, und ihr fuhr, wie das ungewollte Zittern eines Muskels, der unsinnige Gedanke durch den Kopf, daß er vielleicht nur kurz in den Garten gegangen sei. Als sie sich nun in dem Raum umblickte, mußte sie sich eingestehen, daß Robin keinerlei Schuld an alledem traf. Ich sollte ihn anrufen, dachte sie; er kann nichts dafür, und außerdem hat er recht. Sie wollte einfach noch nicht wieder vor Publikum spielen. Aber das Schlimme daran war, was weder Robin noch James erkannten, daß der Gedanke an ein Konzert nicht Versagensangst bei ihr auslöste, sondern abgrundtiefe Langeweile, die in ihrer Tragweite viel erschreckender war als das nervenaufreibendste Lampenfieber.
James war der Ansicht, das alte Gefühl für die Musik käme nur zurück, wenn sie wieder zu konzertieren begänne, und daß sie die innere Blockade, wie er es nannte, dann schon von allein überwinden würde. »Einmal wieder Bühnenluft schnuppern, und alles ist wieder in Butter«, hatte er zuversichtlich verkündet und sich mit seiner Prognose gründlich geirrt. Sie konnte jetzt nicht mehr kneifen, und deshalb würde sie bei dem Konzert mitmachen, aber sie würde rein mechanisch und mit der gleichen eisigen Kälte im Herzen spielen, die sie erstmals in Paris überkommen hatte. Sie würde sich an ihre guten Manieren erinnern und hoffentlich genug Demut aufbringen, um Robin anzurufen. Und danach, hoffte sie inständig, würde man sie endlich in Ruhe lassen.
In bußfertiger Stimmung arbeitete sie den ganzen Vormittag. Erst später fiel ihr auf, daß sie mehr als vier Stunden rein mechanisch und mit solcher Präzision geübt hatte, daß sie sich kaum an die Stücke erinnern konnte.
Cecily Smith war gerade in die müßige Überlegung vertieft, ob sie nicht zu einem Schönheitschirurgen gehen und sich das Fett absaugen lassen sollte, als es läutete. Seufzend quetschte sie ihre geschwollenen Füße in die Schuhe, legte die Cosmopolitan in die Schreibtischschublade zurück und schlenderte gemächlich durch den Gang zu Dereks Büro hinüber, wo sie seine Kaffeemaschine genauso sorgfältig einschaltete, wie er selbst es zu tun pflegte. Als es zischte und brodelte, wusch sie seine Tasse und Untertasse ab, schuf Ordnung auf dem Schreibtisch und ließ dabei ihre Hand sanft über den ausgebeulten Kalender mit dem braunen Ledereinband gleiten. Hin und wieder zupfte sie ihren kurzen schwarzen Rock zurecht, den sie sich infolge eines Artikels mit der Überschrift »Der neue Mini – keine Frage des Alters!« zugelegt hatte. Alles Humbug, für solche Modetorheiten war sie eindeutig nicht mehr jung genug. Und Derek war viel zu unsportlich, um beim Treppensteigen immer zwei Stufen auf einmal nehmen zu können; als er nun sein Büro betrat, schnaufte und schwitzte er, wie es einem Mann seiner Statur entsprach. Cecily, der die Geräusche vertraut waren, mit denen er den obersten Treppenabsatz erreichte, blieb gerade noch die Zeit, ihr Haar kurz aufzubauschen, den Bauch einzuziehen und sich vom Schreibtisch umzudrehen, um ihm ein makelloses Bild zu präsentieren, von Kopf bis Fuß die perfekte Sekretärin des Schuldirektors, mit einem Lächeln auf den Lippen, von dem sie wußte, daß es ein gewisses Maß an Willfährigkeit signalisierte. Derek warf einen Stapel Umschläge auf den Schreibtisch, schenkte sich Kaffee ein, trank zwei Schlucke und blickte sie mit gefährlich funkelnden Augen an. Dann stellte er die Tasse ab, zog sie am Handgelenk in die am weitesten vom Fenster entfernte Ecke und (wie rücksichtsvoll, dachte sie) wischte sich mit der Hand über die Lippen, bevor er ihr seine Zunge in den Mund stieß. Seltsam, daß Kaffee mit seinem reinen, köstlichen Aroma den Atem eines Menschen so verwandeln konnte, daß er an einen faulig riechenden Komposthaufen erinnerte. Es störte sie nicht besonders, und sie gestattete sich nur selten, darüber nachzudenken, warum der Kaffee in Dereks bevorzugter Reihenfolge seiner Aufputschmittel neuerdings an erster und sie an zweiter Stelle rangierte. Ohne weitere Förmlichkeiten zerrten seine Hände die Rückseite ihres Rocks hoch, griffen an ihre Oberschenkel und begannen, ihr Gesäß zu kneten.
Rundum herrschte Stille, mit Ausnahme des Getümmels, das vom weit entfernten Pausenhof herüberdrang. Das Lehrerkollegium, von Derek als »mein Assi-Team« bezeichnet, hatte sich vermutlich unten im Lehrerzimmer zu einer Tasse Kaffee eingefunden, entweder weil sie Durst hatten oder weil sie diskret waren (Cecily war sich nicht sicher). Ihnen blieben etwa vier Minuten, ehe sie mit einer Störung rechnen mußten, durch eine Bande von Rauchern, die am Fahrradunterstand ertappt und eingekreist worden war, oder durch einen gequälten Junglehrer. Da sie nicht wagten, ihrer Lust zu forsch zu frönen, hatten sie mehr oder weniger gelernt, sich in Geduld zu üben und sich auf das Allerheiligste, Cecilys kleines Haus in Bath, zu beschränken. Doch im Augenblick fielen sie in einer Ecke zwischen Karteikästen, Spinnweben und alten Ausgaben von TES übereinander her und ergötzten sich an der Aussicht, später die Freuden eines Festmahls auszukosten.
Cecily spähte über Dereks Schulter zum Fenster hinaus, über den Asphalt zur Aula hinüber, dem »PE-Komplex« im Derek-Jargon, ein gräßliches Machwerk aus den siebziger Jahren, das an ein noch häßlicheres Gebäude aus den sechziger Jahren angebaut worden war. Seemöwen hüpften lustlos auf der Dachpappe umher. Unten streiften ebenso lustlose Kinder am Zaun entlang, der den Schulhof umgrenzte. Auf der anderen Seite ließen weit auseinander gesetzte Schößlinge traurig ihre Köpfe in dem unerklärlich wogenden städtischen Gras hängen, wo zwei traurig dreinblickende Hunde einander sorgfältig beschnüffelten und umkreisten. Auf dem Grundstück, das sich der Wiese anschloß, befand sich ein Häuserblock von mittlerer Höhe, auf dessen Wänden selbst die Graffiti einen traurigen Eindruck machten. Sie konnte das Panorama nicht lange betrachten, ohne zu spüren, daß ihr Herz sank, wie der Zwickel einer alten, abgetragenen Hose. Es war nicht hoffnungslos häßlich: Natürlich gab es viele Gegenden, die schlimmer waren. Trotzdem schien keiner, der bei der Gestaltung ein Wörtchen mitzureden gehabt hatte, auch nur einen Gedanken daran verschwendet zu haben, daß Menschen sich in ihrer Umgebung wohl fühlen sollten. Es war wichtig, daß es Dinge gab, auf denen das Auge mit Wohlgefallen ruhte, Dinge, die strenggenommen nicht unbedingt lebensnotwendig waren. Cecily dachte an ihre neue Urne. Sie hatte sie gerade erst in dem viel zu teuren, hochgestochenen Laden in der Walcot Street gekauft, der edlen Schnickschnack für Haus und Garten führte, und da sie wußte, daß sie mehr dafür hingeblättert hatte, als sie sich leisten konnte, liebte sie sie um so mehr. Sie hatte sie mit einem ebenso teuren Sammelsurium an Hängepflanzen bestückt, die »den ganzen Sommer eine Kaskade von Farben« liefern würden, sofern man der Behauptung auf der Verpackung Glauben schenken durfte. Die Urne stand nun in ihrem ansonsten unkultivierten Vorgarten, der ungefähr die Größe eines Handtuchs besaß, aber sie machte sich dort gut. Sie bildete eine harmonische Ergänzung zu den restlichen fünf terrassenförmig erbauten Reihenhäuschen, die sich wie ein Ei dem anderen glichen und über den Schiebefenstern an der Frontseite Viktorianische Mauersteine mit Ornamenten und ähnliche Kinkerlitzchen rund um die Eingangstür besaßen.
In besserer Laune, denn es war Freitag und sie würde bald nach Larkhall in ihr Häuschen fahren können, löste sie sich von Derek, dessen Gesicht gerötet war. Seine Stimmung schien sich ebenfalls gebessert zu haben, obwohl er immer noch kein Wort gesagt hatte. Beide blickten ratlos auf seinen Schritt, während er sich bemühte, seiner Erektion Herr zu werden, indem er sie wie einen widerspenstigen Türgriff nach unten drückte.
»Du hast mich ganz schön in Fahrt gebracht«, sagte er überflüssigerweise.
Cecily strich ihren Slip glatt und zog ihren Rock herunter.
»Ich mag dich in dem Rock«, sagte er, und fügte mit schwerer Stimme hinzu, »und ohne. Nur noch ein paar Stunden, Cec.« Sie folgte seinem Gedankengang, was ihr zu überhören ermöglichte, daß er sie wieder bei dem Kosenamen genannt hatte, den er ihr gegeben hatte. Vielleicht war es albern und übertrieben auf Würde bedacht, sich dagegen zu wehren, aber ihr Name lautete Cecily. Sie hatte es sogar geschafft, zu lachen, als er sie im Schlafzimmer einmal meine Cec-Muschi genannt hatte. Haha, Derek, wirklich komisch! Aber ihm gefielen Anzüglichkeiten, vor allem, wenn sie von ihm selbst stammten. Sie sah ihm solche Kleinigkeiten nach, denn sie bewunderte und liebte ihn wirklich und wahrhaftig, weil er sich nicht unterkriegen ließ, weil er sich abrackerte, um den Kindern und Jugendlichen im häßlichen Süden von Bristol bessere Chancen auf den Lebensweg mitzugeben. Eines Tages würde sie ihm die angemessene Unterstützung geben können, die er verdiente, ihm jeden Morgen nachwinken, wenn er in seinem frischen Hemd das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen, würde das geräumige Haus und den weitläufigen Garten in ein Paradies verwandeln, in das er gern zurückkehrte, und sie selber würde glücklich und perfekt in ihrer Hausfrauenrolle sein, würde ihn stets mit frisch lackierten Nägeln und tiptop frisierten Haaren begrüßen und sich nie wieder Sorgen über die Visa-Abrechnung oder die Rückzahlung der Hypothek machen müssen.
»Ich freue mich darauf«, erwiderte sie, und das entsprach der Wahrheit.
Dereks Frau würde bis Sonntagmorgen außer Haus sein, sie leitete irgendwo einen Fortbildungskurs für Kindergärtnerinnen. Sie würden also den ungeheuren Luxus genießen, den Abend und die ganze Nacht miteinander zu verbringen, statt einiger weniger Stunden, die sich Derek immer dann stahl, wenn er einen plausiblen Grund fand, an »einer Konferenz« teilzunehmen. In den annähernd zwei Jahren ihrer Liaison hatte er mindestens ebenso vielen Konferenzen splitterfasernackt mit Cecily unter der Daunendecke beigewohnt, wie er in einem nicht mehr ganz frischen Hemd im grellen Licht eines Konferenzzimmers mit seinen öden Schulräten über sich ergehen lassen mußte. Er hatte es, wenn er spätabends abgekämpft nach Hause kam, zu wahrer Meisterschaft darin gebracht, seine Frau in empörte Diskussionen über die Arbeitslast zu verwickeln, die einem Schuldirektor schändlicherweise zugemutet wurde.
»Hast du schon entschieden, was du für uns kochst?« erkundigte sich Cecily.
Dereks Stimme spiegelte die Autorität und Aura eines Mannes wider, der eigenhändig das Abendessen zubereitet. »Ente, dachte ich, mit irgendwelchen Beilagen. Mir wird schon etwas einfallen. Obst, falls es zur Zeit etwas Interessantes gibt. Und Käse. Ich werde mal im Posh vorbeischauen und sehen, was die haben.«
Was Posh – Dereks Name für The Fine Cheese Company, ein Nobelschuppen und sein Lieblingsgeschäft in Bath – außer mehreren Dutzend Käsesorten immer in Hülle und Fülle hatte, war eine Reihe unbeschreiblicher Olivenöle, die einen in den Ruin treiben konnten, duftendes Brot zum Eintunken, Steingutbehältnisse und Gläser mit Leckerbissen, die in Öl mariniert waren, und kleine Köstlichkeiten zum Knabbern. Er konnte einfach nicht widerstehen. Cecily, die solchen Luxus nicht aus eigener Tasche zu finanzieren vermochte, brachte es nicht übers Herz, seine Großzügigkeit bei der Nahrungsbeschaffung zu entmutigen. Trotzdem hoffte sie immer noch, obwohl zwei Geburtstage und ein Weihnachtsfest vorübergegangen waren, bei denen er sie mit Glückwunschkarten und einem wenn auch vorzüglichen Essen abgespeist hatte, daß derselbe Impuls gelegentlich auch auf andere Bereiche ihres gemeinsamen Lebens abfärben möge. Sie verabschiedete sich bis auf weiteres von ihrer Diät und stellte ihr anpassungsfähiges Herz mit nur geringem Bedauern auf ein Wochenende ein, an dem Derek ihr schmuckes Viktorianisches Häuschen mit seinem riesigen, unersättlichen Appetit in Besitz nehmen würde. Das Fett konnte sie sich immer noch absaugen lassen.
Sara hatte die Generalprobe mit James beendet und notgedrungen beschlossen, die restliche Zeit bis zum Konzert in der Stadt totzuschlagen. Es war bereits nach fünf, und sie mußten spätestens um halb acht im Pump Room sein. Es lohnte sich nicht, im Schneckentempo durch das Verkehrsgewühl am Freitagnachmittag nach St. Catherine zurückzuzuckeln, um genau eine Stunde zu Hause zu verbringen.
»Mach doch nicht so ein finsteres Gesicht, Schätzchen«, versuchte James sie aufzumuntern. »Du hast doch deine Robe für heute abend im Wagen, oder? Du kommst mit zu mir, nach Crescent Garden. Dort kannst du ein Bad nehmen und es dir gemütlich machen. Versuch dich ein bißchen zu entspannen.« Sara schüttelte den Kopf. Sie fühlte sich zwar ruhelos, aber die Aussicht, daß sich James zwei Stunden lang bemühen würde, sie nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen, während er tatsächlich nur in seiner Wohnung hin- und hermarschierte und tonlos Passagen aus Don Giovanni oder Phantom der Oper vor sich hinsang, war ihr unerträglich.
»Danke, das ist lieb von dir, aber ich mache lieber einen Spaziergang. Nein, nicht nötig, daß du mich begleitest. Ich wollte noch ein paar Besorgungen machen. Bei Waitrose, du weißt schon. Bis später.«
»Du solltest dir wirklich noch ein paar Stunden Ruhe gönnen. Aber ganz wie du meinst; vergiß vor lauter Shopping deinen Chopin nicht, und klemm dir ja nicht den Finger ein. Und sei pünktlich. Bis später.«
Wie nicht anders zu erwarten, herrschte am Freitagnachmittag im Waitrose Hochbetrieb: Es wimmelte von Frauen, die unerschrocken durch die Gänge streiften, mit hoch aufgetürmter, üppiger Haarpracht, die ihnen offenbar das gleiche Gefühl der Sicherheit verlieh, das die Träger von Motorradhelmen empfinden. Eine Invasion der Heils Angels, direkt aus dem Frisiersalon, die Gesichter noch angespannt und gerötet von der Trockenhaube, mit Ketten an den üblichen, aber völlig unvorteilhaften Stellen: um die Absätze der Schuhe drapiert, am Handgelenk baumelnd, als Handtaschenriemen über die Arme geschlungen und um die ausufernden Taillen. Ihr Anblick trug nicht gerade dazu bei, Saras Laune zu verbessern, und sie wünschte sich nicht zum ersten Mal, es gäbe eine Möglichkeit, bei einem Einkaufswagen die messerscharfen, rotierenden Klingen an den Achsen der Räder zu befestigen, die Ben Hur so nützlich fand.
Neben ihnen waren die Hobbyköche mit ihren schicken hellgrauen Trenchcoats und den verwegen aufgesetzten Hüten eine wahre Augenweide. Sie standen höchstselbst in der Küche, aber nur für Ruhm und Ehre, und für Erwachsene, die nicht mit Lob geizten. Sie kauften sogar eigenhändig ein, aber in aller Regel nur für eine einzige Mahlzeit, nie mit Kindern im Schlepptau oder einem Cello, und wenn sie fünfzehn Minuten brauchten, um unter acht verschiedenen Salatsorten zu wählen, empfanden sie das selten als Zeitverschwendung. Oft traf man sie in der Obst- und Gemüseabteilung: Sie waren in einem kleinen, kreativen Architekturbüro, in der Designerbranche oder im Medienbereich tätig und hatten früher Schluß gemacht, um gut und teuer für die Dinnerparty am Freitagabend einzukaufen. Einmal hatte ein attraktiver Hobbykoch Sara gefragt, was man mit einem Daikon-Rettich macht – was sie zufällig wußte –, sich aber derart für die Antwort interessiert, daß sie enttäuscht feststellen mußte, es war echte Wißbegierde und kein Vorwand, anzubandeln. Die Entdeckung, daß ihre Reize nicht mit einem Knollengewächs mithalten konnten, war niederschmetternd. Einer dieser Hobbyköche prüfte gerade die neun verschiedenen Waldpilzsorten. Nicht schlecht, der Typ, wenn auch nicht mehr taufrisch, ungefähr fünfzig. Er brachte einige Kilos zuviel auf die Waage, aber da er größer als 1,80 Meter war, verstand er sie gut zu kaschieren. Was den Inhalt seines Einkaufswagens anging, konnte der Kandidat hundert Punkte verbuchen: Er war gefüllt mit Flugentenbrust, Estragon, Crème fraîche, einem kalifornischen Zinfandel-Wein und einem Beaumes de Venise, Schokomandeln, ungesalzener Butter, reifen, südafrikanischen Pflaumen, roten Chilischoten und Schalotten. Einige kleinere braune Papiertüten von der Fine Cheese Company und ein Strauß mit fünf formvollendeten Tigerlilien befanden sich oben in der Ablage. Und nun rundeten eine erkleckliche Anzahl von Waldpilzen, Petersilie und frische Feigen die Palette ab. Der hochgewachsene Mann mit der ernsten Miene, dem dunklen Anzug und dem Schlips, der die verführerischen Nahrungsmittel mit solcher Sorgfalt auswählte, hatte etwas Anrührendes. Hoffentlich weiß sie es zu schätzen, dachte Sara, die sicher war, daß er für eine Sie kochte.
Sie blickte in ihren eigenen Einkaufswagen. Cashewnüsse, ein Baguette, ein einsames Lachsfilet und ein Beutel mit vorgewaschenen und geputzten Salatblättern. Essen für eine Person. Sie hatte jede Lust am Einkauf verloren und verließ mit der Tragetasche und der Frage den Supermarkt, wie man um sechs Uhr abends in Bath am besten die Zeit totschlug, ohne in einen Pub einzukehren. Sie würde zum Pump Room zurückkehren und sich ein Plätzchen irgendwo hinter den Kulissen suchen, wo sie warten konnte, während ringsum hektische Vorbereitungen für das Bankett getroffen wurden. Aber der Gedanke erschien ihr nicht besonders reizvoll. Sie zog die gediegene Atmosphäre, die tagsüber im Pump Room herrschte, bei weitem vor, die Teetische mit den weißen Tischdecken unter dem Kronleuchter, die natürliche Heilquelle, deren Wasser immer noch für ein Pfund pro Glas heraufgepumpt wurde, die Panoramascheibe mit Blick auf das heiße, darunterliegende, blubbernde Thermalbad. Und obwohl man nicht länger den unterhaltsamen Anblick von Skrofulose-Kranken genießen konnte, die sich im heilsamen Wasser treiben ließen und dann und wann die Köpfe eintauchten, war es amüsant, den friedlichen Einmarsch der Touristen mit ihren Videokameras, den Sweatshirts mit dem nachgemachten Aufdruck einer Universität und den Nylonanzügen in den Pump Room zu beobachten, eine angemessene Kulisse für den Landadel gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Aber die Touristen waren heute früher hinauskomplimentiert worden, wegen des Benefizkonzerts und Banketts.
Sie schlenderte durch die New Bond Street und hielt vor dem Jigsaw inne. Die lakonisch lächelnde Schaufensterpuppe in der Auslage war in ein türkisfarbenes Röhrenkleid drapiert; sie schien verständlicherweise nicht besonders erfreut über ihre hautenge Bekleidung zu sein. Sara blickte an ihr vorbei in den Spiegel, wo sie ihr eigenes Spiegelbild gewahrte, es taxierte und leidenschaftslos zu der Schlußfolgerung gelangte, daß sie es durchaus anziehen könnte, wenn sie wollte. Die Farbe paßte gut zu ihrem dunklen Haar und den großen, grünblauen Augen, und der Schnitt des Kleides würde über den Hüften, die zwar nicht ausladend, aber eine Idee breiter waren als die spindeldürren, hervorstechenden Beckenknochen der Gipsfigur im Schaufenster, gefälliger wirken. Ihre Jeans saßen lockerer als vor einem Jahr. Und die Batistbluse, die sie dazu trug, war eine Nummer zu groß. Teilweise lag es am Joggen und, seit sie Mitglied im Fitneß-Club geworden war, am regelmäßigen Konditionstraining, aber Schuld war auch die wachsende Gleichgültigkeit gegenüber den meisten Dingen im Leben, einschließlich ihrer Ernährung. Sie hatte zwar keine direkte Abneigung gegen das Essen, mußte sich aber häufig daran erinnern. Auch der Gedanke, in irgendwelchen Geschäften Kleider anzuprobieren, war in ihren Augen eine lästige Pflichtübung, zu der sie sich nur aufraffen konnte, wenn sie dringend etwas Neues zum Anziehen brauchte. Was hoffentlich erst in zehn Jahren oder später der Fall sein würde.
»Hallo! Gefällt's dir? Ich finde es todschick! Nimmst du das Kleid? Du wirst phantastisch darin aussehen!« Aus heiterem Himmel war die hochgewachsene, blonde, durchtrainierte Sue aus dem Fitneß-Club neben ihr aufgetaucht, die trotz fehlender Hörner und Helm wie die Anführerin einer noch unsichtbaren Wikingerflotte auf Eroberungszug wirkte.
»Meine Güte, hast du mich erschreckt! Nein, ich nehme es nicht. Aber dir würde es gut stehen«, erwiderte Sara.
Sue musterte das Kleid kritisch und tätschelte zufrieden ihren flachen Bauch. »Vielleicht. Kommt darauf an, ob es Paul gefällt. Er haßt Einkaufen wie die Pest. Wie alle Männer.«
»Wie alle Männer?« Plötzlich dachte Sara wieder an Matteos rühmliche Ausnahmeerscheinung. »Machst du einen Schaufensterbummel? Dann schließe ich mich an, ich habe nichts weiter vor. Ich muß um halb acht im Pump Room sein, aber bis dahin habe ich Zeit.«
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2022
- ISBN (eBook)
- 9783986900984
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2022 (August)
- Schlagworte
- "England-Krimis England-Thriller Ermittler-Krimi Spannungsroman ungewöhnliche Ermittlerin Elizabeth George Elly Griffiths Robert Galbraith Neuerscheinung eBooks "